Parlament und Regierung Frankreichs 193
Personalien
21. September 1916.
Ueber die Ernennung deS Generals Duport zum Chef deS Generalstabs der Armee vgl. S. 166.
1. November.
Admiral Lacaze ist zum Vertreter für den Kriegsminister General RoqueS bestellt worden,
der eine Reife antrat, deren Ziel nicht bekanntgegeben wurde. (General RoqueS hatte sich nach
Saloniki und Athen begeben, vgl. XVIII, S. 54 und das Kapitel über die Ereignisse auf dem
Balkan im fünften KriegShalbjahr).
Der Generalgouverneur von Jndochina, Roume, trat auS Gesundheitsrücksichten zurück und ist
durch den radikalen Deputierten Albert Sarraut ersetzt worden, der dieses Amt bereits vor
dem Kriege verwaltete.
23. November 1916.
Der Ministerrat beschloß die Vereinheitlichung der Leitung des Militär- und ZivilverfassungS-
wesens, die sowohl im Armeebereiche wie im Inneren von Thierry übernommen wurde, mit dem
Titel eines Staatssekretärs für Verproviantierung und Verpflegungswesen. Dieses Unterstaats
sekretariat ist dem Ministerprästdium angegliedert worden.
Während der Neubildung des Kabinetts Briand
Von den Kammerverhandlungen
Die französische Deputiertenkammer setzte trotz der bestehenden Ministerkrisis ihre Ver
handlungen über das Budget des ersten Vierteljahres 1917 fort. Dabei erklärte der
Sozialist Roux- Costadau in der Sitzung vom 10. Dezember 1916, daß er gegen das
ganze Budget stimme, um gegen die Kriegführung zu protestieren. Er versuchte unter
großer Unruhe im ganzen Hause darzutun, daß Frankreich sich für seine Verbündeten
aufopfere, während die anderen Alliierten ihren Pflichten gegenüber Frankreich nicht
nachkämen. Des Redners schwerste Anschuldigungen richteten sich gegen die „durch einen
Teil der Presse begünstigte Ausbeutung des Volkes durch habgierige, skrupellose, Nimmer
satte Lieferanten". Seinen Höhepunkt erreichte der Lärm jedoch als Roux-Costadau
Anklagen gegen England erhob. Schließlich sprangen mehrere Abgeordnete zur Tribüne
und wollten den unangenehmen Redner herabziehen. In diesem Augenblick beantragte der
Präsident, dem Redner das Wort zu entziehen, und die Kammer stimmte dem bei. Es
fand sich nur der sozialistische Abgeordnete Cadenat aus Marseille, der gegen diese
Unterdrückung der Redefreiheit protestierte.
Auch in der Sitzung vom 11. Dezember 1916 kam es bei der Budgetdebatte zu einer
lebhaften Diskussion, worüber die „Agence Havas" wie folgt berichtete: Zu Beginn der
Kammersitzung protestierte der Sozialist B rizon, einer der 3 Teilnehmer an der Kien
thaler Konferenz, in heftigen Ausdrücken gegen die Verlängerung dieses infernalischen
Krieges, der kein anderes Ergebnis habe, als daß Millionen Tote und Hunderte von
Milliarden in den Abgrund geworfen würden. Der Präsident ruft den Abg. Brizon zur
Ordnung, Brizon will jedoch seine Rede fortsetzen, obwohl die ganze Kammer dagegen
protestiert, und der Lärm wird immer lauter. Ein Abgeordneter wendet sich mit heftigen
Worten gegen Brizon. Dieser schleudert ihm ein Glas an den Kopf. Inmitten dieses
unbeschreiblichen Lärms hebt der Präsident die Sitzung auf 15 Minuten auf. Nach
Wiederaufnahme der Sitzung befragt der Präsident das Haus wegen vorübergehender
Ausschließung Brizons, der sich beleidigende Aeußerungen gegenüber der Versammlung
habe zuschulden kommen lassen. Brizon verlangt das Wort, das ihm reglementarisch
zustehe, und beginnt sodann: „Ich habe die Versammlung nicht beschimpft, dagegen hat
mir jemand den grausamsten Schimpf zugefügt, der einen Franzosen treffen kann. Als
ich meine Gedanken entwickelte, rief man mir zu: „Wieviel erhalten Sie für dieses Ge
schäft?" Dann habe ich mein Glas dem Beleidiger ins Gesicht geschleudert. Ich gestehe,
wenn ich einen Revolver in der Tasche gehabt hätte . ." Brizon konnte wegen des
lvdlkerlrieg. XIX. 13