Volltext: Der Völkerkrieg Band 12 (12 / 1918)

Parlament und Regierung Frankreichs 191 
ferenz eine Schonung der französischen Mannschaftsbestände habe durchsetzen können. 
„Wir erwarten," fährt er fort „die Antwort der Regierung. Ueberall fragt man sich: 
Kann Frankreich noch jahrelang so fortfahren? So hört doch die Klagerufe, die zu 
uns aus dem Hinterland, die aus den Schützengräben aufsteigen!" 
Dieses Bekenntnis stürzt die Kammer in die größte Erregung. Viele Abgeordneten 
der Rechten rufen: Geheimsitzung! Geheimsitzung! Der Abgeordnete Lenoir ruft: 
„Unsere Toten bitten uns um Vorsicht vor der Oeffentlichkeit!" Der Antrag auf 
Konstituierung zur Geheimsitzung wird sofort vorgelegt und angenommen. Die Tri 
bünen wurden um 7«6 Uhr geräumt. 
Um 7 Uhr wurde die öffentliche Sitzung wieder aufgenommen. Die Abgeordneten 
Deguis und Mistral gaben im Namen der äußersten Linken die Erklärung ab, daß 
sie gegen den Regierungsantrag stimmen werden, da die Regierung in der Geheimsitzung 
die nötigen Aufklärungen nicht gegeben habe. Renaudel erklärt namens der Sozia 
listen, daß seine Partei zwar für den Antrag stimme, weil es sich einstweilen nur um 
die Musterung handle, daß sie sich aber die Stellungnahme zur tatsächlichen Einberufung 
der Achtzehnjährigen vorbehalte. Im allgemeinen schien die Linke in der Geheimsitzung 
zwar die Notwendigkeit anerkannt zu haben, die Einziehung des Jahrgangs 1918 nicht 
zu verzögern, aber nicht davon überzeugt worden zu sein, daß Briand in Bezug aus 
die allgemein ersehnte Verminderung der Kriegslast seine Schuldigkeit getan habe. 
Daraus ergriff der sozialistische Abgeordnete Brizon das Wort zu einer leidenschaft 
lichen Anklage. Die Kammer täusche das Land und spiele eine traurige Komödie. Briand 
habe in Frankreich seine Monarchie des Krieges aufgerichtet und sie dem Lande auf 
gezwungen, das unter dem Kriege zittere. Der Präsident unterbricht den Redner und 
beantragt seine Ausschließung. Unter furchtbarem Tumult ruft Brizon, daß auch die 
russische Regierung am Kriegsausbruch schuld sei. Briand hat nicht das Recht, auch 
den Jahrgang 1918 in den Tod zu schicken. Der Tod unserer Achtzehnjährigen würde nicht 
Frankreich dienen, nur einem der Briandschen Kriegsziele. Während der Abstimmung 
über seinen Ausschluß schreit Brizon fortgesetzt in den Saal: Nieder mit dem Krieg! 
Genug der Metzelei, die nur Sonderinteressen dient! Wir wollen den Sieg durch den 
Frieden! Unter stetem gewaltigem Lärm beschließt die Kammer den Ausschluß Brizons 
und nimmt dann die Regierungsvorlage über die Musterung des Jahrganges 1918 mit 
450 gegen 38 Stimmen bei 38 Stimm-Enthaltungen an." 
Zum Schluß der Sitzung gab Präsident Deschanel bekannt, daß eine weitere Geheim 
sitzung am 28. November 1916 beginnen werde zur Besprechung von Interpellationen. 
„Um diese innerpolitischen Vorgänge in Frankreich richtig würdigen zu können, muß 
man sich," wie dem „Schwäbischen Merkur" (28. XI. 16) geschrieben wurde, „immer 
wieder vergegenwärtigen, daß Briand der Vater der Saloniki-Expedition und derjenige 
Staatsmann im Lager der Entente war, dem das meiste Verdienst um den Eintritt Rumä 
niens in den Krieg zugemessen wurde. Als Rumänien in den Krieg eintrat, entstand in den: 
äußerlichen Einflüssen besonders zugänglichen ftanzöstschen Volke das Schlagwort vom „Glück 
Briands". Die rumänischen Katastrophen haben aber auch den Stern Briands zum Sinken 
gebracht. Um sich zu halten, setzte er es den anderen Ententemächten gegenüber durch, 
daß die Saloniki-Expedition weitergeführt wurde. Stark erschwert wurde die Stellung des 
Kabinetts Briand dann auch noch durch die Affäre der englischen Petroleumkonzesstonen 
in Algier. England, das von jeher darauf bedacht war, sich Petroleumquellen in der 
Nähe der Meeresküste zu sichern, erreichte bei dem Minister der öffentlichen Arbeiten, dem 
Sozialisten Sembat, daß einer englischen Gesellschaft die Ausnutzung der wichtigsten 
Petroleumquellen Algiers überlassen worden ist. Ein ftanzöstscher Minister hat also der 
englischen Admiralität die Möglichkeit geliefert, die englischen Kriegsschiffe im Mittelmeer
	        
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