Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

262 Rußland während des fünften Kriegshalbjahres 
Mit anderen Worten: Gegen die Aktivseite des russischen Volksvermögens in Höhe von 
120 Milliarden stand zu Kriegsbeginn ein Passivum von nur wenigen 10 Milliarden. 
Es begann der Krieg, der zum allergrößten Teil mit Hilfe ausländischen Kapitals und 
zum großen Teil mit Hilfe ausländischer Warenlieferungen geführt werden mußte. In 
seiner Denkschrift zum russischen Staatsbudget für 1917 beziffert Finanzminister Bark 
die russischen Kriegsausgaben zu Ultimo 1916 bereits mit 23 1 | 2 Milliarden Rubel, so 
.daß, wenn man das oben erwähnte Passivum mit 10 Milliarden mit in Betracht zieht, 
dem russischen Nationalvermögen schon Ende 1916 ein Gesamtpassivum von 33V* Mil 
liarden gegenüberstand. Da die russischen monatlichen Kriegsausgaben wohl auf 2 Mil 
liarden zu veranschlagen sind, so wären, in der Annahme, der Krieg sei Oktober 1917 
beendet, in den 10 Monaten bis dahin von russischer Seite Kriegsausgaben im Gesamt 
beträge von 10 x 2, also 20 Milliarden Rubel beansprucht worden. Ende Oktober 
1917 würde somit das russische Nationalvermögen mit einem Gesamtpassivum von rund 
53^ Milliarden Rubel, d. h. mit über 44 v. H. seines Betrages belastet sein. 
Aber damit nicht genug. Man weiß, daß während des gegenwärtigen Krieges die 
»befreundeten" Mächte, namentlich England, jede Gelegenheit benützt haben, um an dem 
»Ausverkauf Rußlands" (ein trefflicher Ausdruck der „Nowoje Wremja") teilzunehmen. 
Es mag dahingestellt bleiben, ob, was man sich in sonst gut eingeweihten Kreisen erzählt, 
die englischen Freunde wirklich aus einen großen Teil des russischen Staatsvermögens, 
wie etwa Eisenbahnen, Hafenbauten u. a. m>, bereits Hand gelegt haben. Was aber 
keinem Zweifel unterliegt, ist die — auch von russischer Seite nicht abgeleugnete — 
Tatsache, daß englische Finanzkreise während der jüngsten 2 Jahre eine Kontrolle über 
vielleicht die fettesten Stücke der russischen Nationalwirtschaft erlangt haben. Die Eisen-, 
Kupfer-, und Goldlager des Ural sind bereits zum allergrößten Teil an das englische 
Kapital übergegangen; wesentliche Bestandteile der reichen Montanbezirke des Altai, 
darunter auch sehr große Strecken der sogenannten Kabinettsländereien, gehören jetzt 
ebenfalls den für Recht und Freiheit kämpfenden Engländern; dieselben uneigennützigen 
Rußlandfreunde haben einen großen Teil der Erz- und Kohlenlager des Donezbassins 
an sich gebracht, ja nicht einmal die nordrussischen Wälder und die fetten Ländereien 
am Schwarzen Meere verschmäht. Die südrusstschen Schiffswerften, an denen die Herren 
v. Vickers, Armstrong und Schneider anfänglich nur als „Instruktoren" tätig gewesen 
waren, haben ebenfalls mittlerweile ihre russischen Eigentümer gegen solche aus Eng 
land, Frankreich und Amerika vertauscht. Ja selbst die stets urrussisch gewesene Textil 
industrie der Rayons von Moskau, Schuja und Jwanow-Wosnessensk steht gegenwärtig 
unter englischer „Kontrolle", die auch im weiten Oststbirien (Kohlengruben) ihre Tätig 
keit ausübt. Schon zu Anfang des Jahres 1916 hatte man in eingeweihten russischen 
Kreisen diesen Teil der namentlich an England übergegangenen russischen National 
wirtschaft aus etwa 6 Milliarden Rubel bewertet, und man greift eher zu niedrig als 
zu hoch, wenn man diese Summe nun auf mindestens 10 Milliarden Rubel beziffert. 
Das Passivum der russischen Volkswirtschaft erhöht sich damit auf rund 63^ Milliarden 
Rubel — also über die Hälfte des gesamten russischen Nationalvermögens. 
Aber wir müssen noch weiter gehen. Neben den obenerwähnten Ausländsanleihen 
hat Rußland auch innere Anleihen aufgenommen, deren Höhe die russische Staatsbank 
Anfang Februar 1917 mit rund 9% Milliarden Rubel angegeben hat, darunter rund 
6 1 /« Milliarden eigentlicher innerer Kriegsanleihen und weit über 2 1 / i Milliarden kurz 
fristiger Schatzscheine der russischen Reichsrentei, „die von Privatpersonen, Banken und 
sonstigen Instituten diskontiert worden stnd". Ueber das Schicksal dieser Anleihen und 
Schatzscheine nach dem Kriege schwebt aus leichtbegreislichen Gründen einDunkel; gleichwohl 
wollen wir aber annehmen, daß sie ihren Wert wirklich behalten und das russische National
	        
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