Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

252 Rußland während des fünften Kriegshalbjahres 
bei jeder Gelegenheit um Rat gefragt wurde, daß er mit dem Zaren täglich eine Stunde 
lang auf den Knien beten mußte. Kranke und geistig Ueberreizte bildeten auch sonst 
den Kreis der Anhänger Rafputins und sind auch bis zum Schluß seine treueste Gefolg 
schaft geblieben. Später kamen solche hinzu, die von seiner Macht ein Tröpfchen Balsam 
erwarteten oder auch sehr materielle Dinge. Der „Starez" war zu jeder Hilfe bereit, 
-wenn sie ihn nichts kostete. Wenn er in Petersburg weilte, hielt er täglich im Hause 
des Oberprokurators eine Sprechstunde ab, die jedem offen stand. Er duzte alle Be 
sucher, ließ aber keinen, der den rechten Ton der Demut und Ergebenheit anschlug, ohne 
Rat und Trost gehen. Fast immer gab er denen, die etwas Bestimmtes von ihm 
wünschten, einen in miserabler Orthographie gekritzelten Zettel mit, der manchmal 
geradezu Befehle an die Minister enthielt, jedenfalls aber Empfehlungen, die nicht viel 
weniger wert waren. Diesem patriarchalischen Gebaren hatte Rasputin ein gut Teil 
seiner von mystischem Glanz umflossenen Volkstümlichkeit zu danken. Er brauchte sie 
vielleicht nicht, aber sie schien jedenfalls nicht überflüssig, um sich die andere Stellung 
zu sichern, aus der er die Kraft zu seinen Gnadenwundern zog." 
Die Fülle von Einzelheiten, die von der russischen Presse über Rasputin nach seiner 
Ermordung veröffentlicht werden durften, brachten, ebenfalls nach der „Frankfurter Zeitung" 
(20.1. 17), einige bisher unbekannte Einzelheiten aus seiner Biographie ans Tageslicht. 
Bevor er sich zum „Starez" bekehrte, war der sibirische Bauer ein arger Trunkenbold 
und schlimmeres; einigemal wurde er wegen Pferdediebstahls, Meineids und dergleichen 
in Untersuchung gezogen, einmal vom Bauerngericht zu einer Rutenstrafe verurteilt. 
Ein Strafverfahren gegen ihn schwebte in den letzten Jahren noch, wurde aber natürlich 
nicht mehr durchgeführt. Rasputin, der schon früher die in den leitenden Kreisen der 
Bureaukratie herrschende Korruption sich zunutze machte, scheint in den letzten Monaten 
jedes Schamgefühl verloren zu haben. Während er früher die Förderung von Eheschei 
dungsprozessen, die in Rußland sehr kostspielig sind, als einträgliche Spezialität pflegte, 
ging er in der letzten Zeit dazu über, „Kriegsgewinne" zu machen, indem er Befreiungen 
vom Dienst, Ueberweisungen in ungefährliche Etappenstellungen und dergleichen, aber 
auch Gewährung von Eisenbahnwagen zu bestimmten Zwecken, Befreiung von Beschlag 
nahme und Requisition vermittelte; „Geschäfte", die weniger als 1000 bis 2000 Rubel 
einbrachten, übernahm er nicht mehr, in Fällen, die für den Betreffenden große Be 
deutung hatten, nahm Rasputin aber „Gebühren", die ein Vielfaches dieses Minimal 
satzes betrugen. Den Einfluß Rasputins nutzten auch Großfinanzleute aus. Der trotz 
der gegen ihn erhobenen schweren Beschuldigungen aus der Verhaftung wieder entlassene 
Bankier Rubinstein z. B. (vgl. S. 266) hatte nach langen Bemühungen durch Vermittlung 
eines hohen Hofbeamten die Bekanntschaft Rasputins gemacht, der ihn dann Goremykin 
vorstellte. Der Gipfelpunkt des politischen Einflusses Rasputins aber war die Ernennung 
Protopopows zum Minister des Innern. 
Eine ganze Literatur knüpfte sich schon bei Lebzeiten des „alten" Rasputin an seinen 
Namen. Noch vor dem sensationellen Abschluß der Rasputin-Episode erschien in schwe 
discher Sprache ein Buch über Rasputin von einem angeblichen Mitglied der Peters 
burger Aristokratie. Der Verfasser, der sich Hermann Theodor von Zancka nennt, ließ 
das Buch in Stockholm erscheinen. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich eine aus den 
baltischen Provinzen stammende Persönlichkeit, die in den literarischen und politischen 
Kreisen des Stockholms der Kriegszeit eine nicht uninteressante Rolle spielte. Jedenfalls 
aber gibt das geschickt geschriebene Buch, das sich durch Glaubwürdigkeit und Genauigkeit 
der Angaben von den vielgelesenen „Enthüllungen" der ebenfalls in Stockholm wohn 
haften Madame Kolb-Danvin, verwitweten Fürstin Radziwill, vorteilhaft unterscheidet, 
einen nicht unwichtigen Beitrag zur Geschichte der Hintergründe des Weltkrieges.
	        
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