Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

D i e innere Politik und Personalien II 25! 
er sich bald durch die Vereinigung religiöser Motive mit Kurpfuscherei, die wir aus dm 
Prozessen gegen die Gesundbeter zur Genüge kennen, unentbehrlich zu machen. Man 
wußte, daß er freien Zutritt bei Hose hatte. Man wußte auch, daß er sich nicht darauf 
beschränkte, seinen Einfluß in Personalfragen geltend zu machen. Die Entrüstung der 
russischen Politiker gegen dieses dunkelste Element der „Sphären" war schon im Früh 
jahr 1912 so hoch gestiegen, daß Herr Gutschkow, der sehr kluge Führer der Oktobristen, 
es wagen konnte, in der Reichsduma eine flammende Anklagerede gegen Rasputin zu 
halten. Der Zar mußte ihn, um einen offenen Skandal zu vermeiden, nach Sibirien 
ziehen lassen. Grigorij Rasputin ging, aber er warnte; ein großes Unglück werde das 
Kaiserhaus betreffen, wenn er nicht sein Gebet mit ihm verrichte. Die Erkrankung des 
Thronfolgers führte bald daraus Rasputin an den Hof zurück, und als dann das „Wunder" 
eintrat, als die Krankheit eine Wendung zum Bessern nahm, da war die Stellung des 
Thaumaturgen unangreifbar geworden. Er selbst liebte es, seinen Einfluß ins Licht zu 
setzen. Rückhaltlos erzählte er Dinge, die nur im engsten Kreise der kaiserlichen Familie 
vor sich gehen konnten, und bei denen er mit seinem Rat alles entschieden hatte. So 
geht die Erzählung, daß Rasputin während der Balkankriege den offenen Konflikt Ruß 
lands mit Oesterreich-Ungarn verhindert habe, auf ihn selber zurück. Er scheute bei 
diesen Berichten niemanden, auch die Großfürsten nicht, und Nikolai Nikolajewitsch be 
schuldigte er direkt, schon damals den Krieg gefordert zu haben. Was an diesen Er 
zählungen wahr ist, wird man vielleicht niemals erfahren. Jedenfalls aber bedeutete 
die schwere Erkrankung, die Rasputin nach dem Attentat im Juli 1914 an sein Lager 
in Sibirien feffelte, eine erhebliche Erleichterung für die Umtriebe derer, die den Zaren 
in den Krieg getrieben haben. Sie hielten Rasputin auch dann noch einige Monate 
dem Zaren fern, als aber die deutschen Heere unaufhaltsam in Rußland vordrangen 
und eine Katastrophe vor der Türe zu stehen schien, da wurde auch der Wundermann wieder 
an den Hos gerufen und nutzte seinen Einfluß, der größer als je zuvor gewesen zu sein scheint, 
in der rücksichtslosesten Weise aus. Rasputin stürzte den Oberprokurator des Senats, den 
Moskauer Adelsmarschall Ssamarin (vgl. XIII, S. 248); er brachte in dem sibirischen Bi 
schof Warnawa einen neuen Abenteurer an den Zarenhof, und selbst Pitirim, der mächtige 
Metropolit von Petersburg, mußte sich mit diesen dunkeln Erscheinungen verbünden. 
Sicherlich war Rasputin ein ungewöhnlich kluger Mensch, der sich auch außerhalb 
des Zarenhoses eine feste Anhängerschaft zu sichern verstand. Aus dem klostermäßig 
lebenden Starez war im Laufe der Petersburger Jahre ein sehr wohlhabender 
Mann geworden, der Eleganz und gutes Leben schätzte, eine stattliche Wohnung in 
der Stadt, ein vornehmes Sommerhaus in der Krim und einen wertvollen Gutsbesitz 
in seiner sibirischen Heimat besaß. Seine äußere Erscheinung, die bei derlei Unter 
nehmen nicht ohne Bedeutung ist, erleichterte ihm den Weg zum Erfolg, der über 
die Herzen der Frauen geht. Der hoch und schön gewachsene Mann, der stolz das 
russische Bauernkleid trug, den langen Kaftan aus Seide und die hohen Stiefel, 
hatte weiche Augen „voller Seele", trug sein langes Haar und den mächtigen 
Bart sorgfältig gekämmt. Wenn man auch nur die Hälfte dessen glauben darf, was 
über ihn berichtet wird, so kannte er auch die Rezepte Mephistopheles' zur Behandlung 
weiblicher Patientinnen sehr wohl. Wenn er die Damen der höchsten russischen Aristo 
kratie „zur Demütigung" in die Badestuben führte, die in Rußland nicht nur dem Zweck 
dienen, den ihr Name verkündet, so wußten die Beteiligten und alle anderen ganz genau, 
was man von diesen geistlichen Uebungen zu halten hatte. Man braucht dabei nicht 
alles buchstäblich zu glauben, was die russische Oeffentlichkeit geglaubt hat, die auch 
davor nicht zurückschreckte, die kranke und gewiß wenig beneidenswerte Zarin in die 
ärgsten Klatschgeschichten hineinzuziehen. Sicherlich aber steht fest, daß er von der Zarin
	        
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