Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

240 Rußland während des fünften Kriegshalbjahres 
unbeschreiblichen Lärmszenen bestieg Markow nochmals die Tribüne, um die unerwartete 
Erklärung abzugeben, daß er diese Beleidigung mit vollem Bewußtsein begangen habe 
und verließ sodann, gefolgt von der gesamten Renten außer Purischkewitsch und von 
allen geistlichen Dumamitgliedern, den Saal. Unter dem stellvertretenden Vorsitz Bobrinskijs 
beschloß das Haus, Rodzianko sein Bedauern auszusprechen und Markow von 15 Sitzun- 
.gen auszuschließen. Rodzianko, der seine Entlassung als Präsident der Duma nahm, 
ist gleich darauf fast einstimmig wiedergewählt worden. 
Die Sitzung, in deren zweitem Teil die Polen Hospitzki und Rackowski die Er 
klärung abgaben, daß die russische Gegenproklamation betreffend Polen jede Deutung 
zulasse und die verheißene Autonomie nicht näher bestimme, endete mit der Annahme 
der bereits (S. 238) angeführten Entschließung des fortschrittlichen Blocks. 
In der Dumasitzung vom 7. Dezember sprachen, nach Berichten der „Frankfurter 
Zeitung" (14. XII. 16), die Abgeordneten Schidlowski, Melgunow und Schingarew zu der 
Interpellation über die Lebensmittelfrage. Schidlowski schrieb die herrschende 
Unordnung hauptsächlich dem mangelnden Zusammenschlüsse der Handelsorganisationen 
zu, der ein Marodeurtum großgezüchtet habe, und verlangte neben der Organisation der 
Arbeitskräfte die bessere Ausnutzung der Kriegsgefangenenarbeit. Die Neigung der Bauern, 
ihr Getreide zurückzuhalten, beruhe darauf, daß sie ihren Bedarf an anderen Lebens 
mitteln nicht zu decken vermochten. Melgunow leitete feine Kritik der Regierung mit 
den Worten ein: „Die Lösung der Versorgungsfrage ist die Grundbedingung für die 
Ruhe des Landes." Die Interpellation wurde vom Landwirtschaftsminister Ritt ich 
mit einer Anzahl von Versprechungen beantwortet unter dem Hinweis darauf, daß er 
wegen der Neuheit in seinem Amt zunächst außerstande sei, aus Einzelheiten einzugehen. 
Doch betrachte er Maßnahmen in fortschrittlicher Richtung als die einzig mögliche Lösung 
der vorliegenden verwickelten Fragen. In einer späteren Rede forderte Schingarew 
die Regierung auf, sich durch die eiserne Logik der Tatsachen zum Militärsozialismus 
nach deutschem Vorbilde führen zu lassen- 
Die Antwort des Ministers des Auswärtigen Pokrowsky auf das Friedens 
angebot Deutschlands und seiner Verbündeten, die er in der Dumasitzung vom 
16. Dezember gab, sowie die ablehnende Tagesordnung des Abgeordneten Schidlowski 
und ihre Annahme folgen im Zusammenhang mit den Antworten der übrigen Entente 
mächte in dem besonderen Kapitel über das Friedensangebot der Mittelmächte. 
Die innerpolitische Lage Rußlands hatte inzwischen, wie der „Kölnischen Zeitung" 
(20. XII. 16) aus Kopenhagen geschrieben wurde, „den höchsten Grad der Unsicherheit 
und Verwirrung erreicht. Die Wandelgänge der Reichsduma waren mit zahlreichen Ge 
rüchten über neue Ministerveränderungen erfüllt. Wie „Rußkoje Slowo" andeutete, 
war auch die Stellung Trepows bereits wieder erschüttert, da er kürzlich dem Zaren 
den Rücktritt Protopopows vorgeschlagen, aber eine ziemlich ungnädige Zurückweisung 
erhalten habe. Protopopow galt immer mehr als der kommende Mann, und die fort 
schrittlichen Kreise sahen mit Unruhe die Ablösung des Ministeriums Trepow durch ein 
ausgeprägt reaktionäres Ministerium mit Protopopow an der Spitze voraus. Die 
Minister selbst reisten beständig von und nach dem Hauptquartier; die Gesundheit 
Protopopows, die sich bald besserte, bald verschlechterte, bildete ein tägliches Thema 
der Presse. Daß diese Zustände zusammen mit dem stetig zunehmenden Einfluß der 
Engländer selbst solche Kreise zu beunruhigen begannen, die bisher entschieden für 
eine russisch-englische Annäherung arbeiteten, geht auch aus einer Bemerkung der 
„Nowoje Wremja" hervor, die mit einer gewissen Bitterkeit feststellte, daß die Eng 
länder, und namentlich der englische Botschafter Buchanan immer größeren Einfluß 
auf die inneren Angelegenheiten Rußlands erhielten und nun schon ganz offen die
	        
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