Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

Die dritte Kriegstagung des italienischen Parlaments 297 
Habgier und Beutepolitik für den Weltkrieg verantwortlich gemacht hatte, antwortete 
der Ministerpräsident Boselli am 9. Dezember 1916 auf die Ausführungen der 
verschiedenen Redner und verlangte eine bestimmte und klare Abstimmung über die 
Tagesordnung des Abgeordneten Camera, die der Regierung das Vertrauen aus 
spricht. Um in diesem bedeutsamen Augenblicke an alle Kräfte des Landes zu appellieren, 
müsse die Regierung voll und aufrichtig durch die Vertreter des Volkes gestützt werden. 
Boselli versicherte feierlich, das Land habe zu den Verbündeten volles Vertrauen und 
wolle mit ihnen fest bleiben bis zum endlichen Siege. Er betonte die Notwendigkeit 
einträglichen Zusammenwirkens in der Kammer, so wie im Kabinett, das sich zwar aus 
Angehörigen verschiedener Parteien zusammensetze, aber in Fragen der nationalen Ver 
teidigung stets von vollkommener Einmütigkeit beseelt sei. So müsse auch die Kammer eine 
Art einheitlicher Front bilden, als Ausgangspunkt der ungeheuren Anstrengungen, die 
das Land machen müsse, um die Anerkennung aller seiner Rechte und den Triumph des 
Nationalitätenprinzips als wesentliches Ziel des Krieges zu erringen. Boselli nahm ferner 
auch die Tagesordnung Bertesi an, die die Entrüstung über die belgischen Deportationen 
ausdrückt und die Befreiung Belgiens wünscht. Der Ministerpräsident erklärte, daß 
Italien in Uebereinstimmung mit seinen Verbündeten die Waffen nicht niederlegen werde, 
solange die Wiederherstellung Belgiens nicht gesichert sei. Hieraus wurden die Tages 
ordnung Camera mit 376 gegen 45 Stimmen der offiziellen Sozialisten und sodann die 
Tagesordnung Verlest unter Beifallskundgebungen einstimmig angenommen. 
Das Kabinett Boselli hatte somit zwar von der Kammer ein Vertrauensvotum er 
halten; aber wenn es auch mit dem Abstimmungsergebnis zufrieden war, konnte es das 
doch unmöglich mit den Verhandlungen selber sein. „Es waren", wie der „Kölnischen 
Zeitung" (16. XII. 16) geschrieben wurde, „allerdings überwiegend sozialistische Kriegs 
gegner, die Kritik an der Regierung geübt hatten; jedoch darf man, wenn man einen 
Rückblick auf die Kammerverhandlungen wirft, das Hauptaugenmerk nicht auf das von 
Sozialisten gesprochene freimütige und oft kühne Wort richten, sondern darauf, daß sie 
Regierung und Kammer den Spiegel vorhalten konnten, ohne nennenswerten Wider 
spruch zu finden, ja, daß oft durch gemurmelten Beifall oder beredtes Schweigen 
eine weitausgreifende Zustimmung zu solchen Gewissensprüsungen bekundet ward. Im 
übrigen waren es keineswegs nur Sozialisten, die ihrem Herzen in diesen Tagen Lust zu 
machen suchten. Einerder unbarmherzigsten Redner war z. B. Pirolini, früher einer 
der Hauptkriegsschreier; ferner erfolgten höhnische Zurufe an die Adresse Sonninos sogar 
aus den Reihen der eigenen Parteifreunde, und wenn die Kammermehrheit schwieg, so 
bekundete sich darin am Ende nur das letzte Restchen Disziplin, ohne die doch auch in 
Italien die Dinge nicht vom Fleck bewegt werden können. Wie ein roter Faden zogen 
sich durch die Verhandlungen zwei Gedanken: Anklagen gegen England und Anklagen 
gegen die Männer, welche die Verantwortung dafür tragen, daß Italien sein Geschick 
an dieses knüpfte. 
Kein Widerspruch erhob sich ferner, als der Abgeordnete Pirolini folgende vier Grund 
sätze aussprach: 1. Es ist unmöglich, Deutschland militärisch zu besiegen, 2. man vermag 
ebensowenig seine Widerstandskraft durch die Blockade oder den Erschöpfungskrieg zu 
brechen, 3. die Rechnung der überlegenen Zahl ist falsch, und 4. die Entente ist 
außerstande, in der Rüstungsindustrie Deutschland zu erreichen. Und in das Schweigen 
der Abgeordnetenreihen mischte sich manches halblaute „tz vsro" (es ist wahr), als der 
Abgeordnete Lucei in der Sitzung vom 11. Dezember 1916 abermals gegen die Re 
gierung anstürmte und sie in seiner glänzenden Philippika mit den Worten anrief: 
„WaS haben Sie anderes getan, Salandra, Sonnino, Bissolati, vom Ausbruch des Kriegs bis heute, 
als dieses arme und edle Land von Enttäuschung zu Enttäuschung zu jagen. Unter Ihren Gaukeleien
	        
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