Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

110 Das Deutsche Reich während des fünften Kriegshalbjahres 
Nur 2 Mitglieder des Parteivorstandes hatten diese Kundgebung nicht unterschrieben 
und in einer Sondererklärung gegen diese Zerreißung der Partei-Einheiten Einspruch 
erhoben. Das waren Robert Mengels und Luise Zietz. Damit war die 
Spaltung der Partei eine vollzogene Tatsache geworden. Zieht man das 
Resumö, so kann man feststellen, daß man es nunmehr mit 4 Parteien der Sozial 
demokratie zu tun hatte. Neben der eigentlichen Partei unter Führung Scheidemanns 
und Eberts kam in Frage die „Arbeitsgemeinschaft*, die im Reichstage über 18, 
im Preußischen Abgeordnetenhause über 4 Mandate verfügte, die „Spartacusgruppe*, 
so genannt nach den Spartacusbriefen, die im Reichstage nach Liebknechts Verurteilung 
nur noch durch den Abgeordneten Rühle vertreten war, und die Gruppe „Internationale*, 
die einen anarcho-sozialistischen Charakter trägt. Im Reiche vollzog sich erst langsam die 
Scheidung der Geister. Ihre Hauptstützpunkte hatten die Anhängerder „Arbeitsgemeinschaft* 
und den ihr verwandten Gruppen im Königreich Sachsen (Leipziger Volkszeitung), in 
Ost-Thüringen sowie in einzelnen rheinischen und württembergischen Bezirken. 
Gesetzgebung und Verwaltung 
Die Parteien der Linken drängten die Regierung mehr und mehr, das bisher allgemein 
gemachte Versprechen einer politischen Neuorientierung endlich in die Tat umzusetzen. In 
der Presse und in den Parlamenten wurde diese Forderung immer lauter erhoben. Die 
Reichsregierung und vornehmlich der Reichskanzler zögerten aber, irgendwelche Schritte 
nach dieser Richtung hin zu unternehmen. Herr von Bethmann Hollweg begnügte sich 
nur immer wieder damit, die von ihm geäußerten Verheißungen in Reden von neuem zu 
unterstreichen (vgl. seine Reichstagsrede vom 29. Dezember 1916). 
Dagegen begannen sich unter den Parteien selbst allmählich gewisse Richtlinien für 
diese innerpolitische Neuordnung herauszuschälen. Eine nicht geringe Rolle 
in dieser öffentlichen Debatte spielte die Frage des parlamentarischen Systems, 
wie eS die Westmächte schon seit langem besitzen. Die Regierung verhielt sich diesem 
Verlangen gegenüber ablehnend. Wohl aber kam sie einem Wunsche des Reichstages nach, 
den Hauptausschuß, die bisherige Budgetkommission des Reichstages, auch während der 
Vertagung des Parlaments zur Beratung von Angelegenheiten der auswärtigen Politik 
zusammentreten zu lassen (vgl. S. 18 bis 23 und 33). Das bedeutete immerhin eine gewisse 
Stärkung des parlamentarischen Einflusses bei der parlamentarischen Kontrolle. Die Sozial 
demokratie präzisierte in der Reichstagssitzung vom 11. Oktober durch den Mund des führenden 
Abgeordneten Scheidemann ihre innerpolitischen Forderungen wie folgt: „Aufhebung der 
Zensur und des Belagerungszustandes, Herstellung völliger Preffe-, Vereins- und Ver 
sammlungs-Freiheit, Freilassung aller in Schutzhaft befindlichen Deutschen, Amnestie für 
politische Delikte, Schaffung eines verantwortlichen Reichsministeriums, Sicherung des 
Grundsatzes, daß niemand Reichskanzler sein kann, ohne das ausgesprochene Vertrauen 
deS Reichstages zu besitzen, Heranziehung der Volksvertretung zu den verantwortlichen 
Geschäften der Regierung und Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in 
Staat und Gemeinde.* 
Die Schutzhaftfrage, die der Abgeordnete Scheidemann berührt hatte, trat bald in 
den Mittelpunkt des Interesses. Nationalliberale brachten im Reichstage einen Jnitiativ- 
anttag zur Vorlegung eines Gesetzentwurfes für die Reform der Schutzhaft ein. Die 
Aussprache im Reichstage führte zu überaus erregten Szenen, als die verschiedensten 
Schutzhaftfälle vorgebracht wurden (vgl. S. 26 f.). Den Wünschen des Reichstages ent 
sprechend wurde daraufhin das Schutzhaftgesetz neu gestaltet. Eine andere Frage, die nicht 
minder lebhaft erörtert wurde, war eine konfessionelle Statistik, wie sie von 
den Nationalliberalm, dm Konservativen und dm Zmtrumsmitgliedern des Haupt-
	        
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