Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

Die innere deutsche Politik im fünften Kriegshalbjahr 103 
Am 12. Dezember 1916 ging die deutsche Regierung in ihren Friedensbestrebungen 
noch einen Schritt weiter und trat mit einem offiziellen Friedensangebot, das 
der Reichskanzler im Reichstage zur Verlesung brachte, heraus (folgt in einem besonderen 
Kapitel). Dieses Angebot, das nicht zuletzt auf die Initiative des Kaisers zurückzuführen 
war, überraschte nicht nur das Ausland, sondern auch das Inland. Der Reichstag war 
am 2. Dezember 1916 geschlossen worden (vgl. S. 47), und wurde dann plötzlich bereits 
9 Tage später zur Entgegennahme der Friedenskundgebung wieder einberufen. Durch 
diese Ueberraschung fühlte sich der Reichstag zurückgesetzt; die Konservativen auf der 
einen und die sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft aus der anderen Seite protestierten 
dagegen, daß man den Reichstag ganz plötzlich vor vollendete Tatsachen stelle. Aber auch 
die nationalliberale Partei schloß sich dem an und richtete an den Kanzler folgendes 
Schreiben, das wir wiedergeben wollen, weil es die Stimmung weiterer Schichten der 
Bevölkerung klar zum Ausdruck bringt: 
„Euerer Exzellenz beehren wir uns namens der nationalliberalen Fraktion ganz ergebenst folgendes 
als einmütige Willenserklärung der Fraktion mitzuteilen: 
Sowohl in der polnischen Frage, als nunmehr in der Frage des Friedensangebote- ist 
der deutsche Reichstag vor vollendete Tatsachen gestellt worden, ohne daß ihm 
zuvor Gelegenheit gegeben wurde, seine Ansicht zur Geltung zu bringen und bei der Lösung der 
Fragen mitbestimmend oder auch nur mitberatend mitzuwirken. Diese Ausschaltung des Reichstags 
scheint auch bezüglich der Friedensbedingungen bereits vollendete Tatsache zu sein, denn die 
an unsere Feinde gerichtete Note vom 12. Dezember 1916 enthält den Satz, daßdie4verbündeten 
Mächte zu den Friedensverhandlungen Vorschläge mit bringe «werden, die nach 
ihrer Ueberzeugung eine geeignete Grundlage für die Herstellung eines dauerhaften Friedens bilden. 
Die Friedensbedingungen stehen also fest; sollten sie von unseren Feinden angenommen werden, 
so stünden wir vor der Tatsache, daß dem deutschen Volke ein Frieden beschert würde, bei dessen 
Gestaltung es mit keinem Wort hätte mitwirken können. 
Euere Exzellenz haben uns wiederholt mit den Worten, die uns alle tief bewegten, von der sitt 
lichen Größe, der beispiellosen Aufopferung und Hingabe, dem wunderbaren Geist des deutschen 
Volkes gesprochen. Als Vertreter dieses Volkes, das eine Heldengröße und eine Opferwilligkeit 
ohnegleichen gezeigt und den Krieg als einen Volkskrieg im besten Sinne deS Wortes aufgefaßt und 
geführt hat, müssen wir Anspruch darauf erheben, daß ihm künftig die Möglichkeit ge 
geben wird, durch den Mund des Reichstages seineStimme zu erheben und mit 
zuwirken bei der folgenschwersten Entscheidung, vor die je ein Volk gestellt worden ist. Diese Ent 
scheidung, von der die ganze Zukunft unseres Volkes und Vaterlandes abhängt, erfordert gebieterisch, 
daß zwischen der Regierung und dem durch den Reichstag vertretenen Volke ein Vertrauensverhältnis 
bestehe, das wir jedoch durch die bisherige Ausschaltung des Reichstags für gefährdet erachten. 
Wir sprechen diese Worte im vollen Bewußtsein ihrer Tragweite aus; Pflicht und Gewissen ge 
bieten uns. Euerer Exzellenz rückhaltlos unsere Meinung kundzutun und nachdrücklichst zu fordern, 
daß dem Reichstag bei allen mit der Gestaltung der Verhältnisse nach dem Kriege zusammenhängenden 
Fragen die ihm gebührende Stellung eines gleichberechtigten Teiles eingeräumt werde." 
Das Friedensangebot selbst begegnete im Ausland, wie schon die früheren Friedens 
anregungen Deutschlands, einer höhnischen Ablehnung. 
Die innere Krisis der Sozialdemokratie 
Die Auseinandersetzungen innerhalb der Sozialdemokratie gingen auch im fünften Kriegs 
halbjahre weiter und verschärften sich so sehr, daß es schließlich zu einer ausgesprochenen 
Spalt un g,die man bis dahin aus beiden Seiten immer nicht hatte wahr haben wollen, kam. 
Beide Richtungen beschäftigten sich zun ächst vorwiegend mit der Fr i e d e n s f r a g e. Innerhalb 
der Mehrheit der Sozialdemokratie wurden Stimmen laut, die mit dem früheren inter 
nationalen Programm kaum noch zu vereinbaren waren. In den „Sozialistischen Monats 
heften" redete der Reichstagsabgeordnete Max Cohen (Reuß) einer positiven Teilnahme
	        
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