Volltext: Der Völkerkrieg Band 13 (13 / 1918)

56 Das Deutsche Reich während des fünften Kriegshalbjahres 
„Als der Brief des G.F.M. von Hindenburg, in dem er die Landwirtschaft aufforderte, Fleisch und Fett 
den industriellen Schwerarbeitern zut Verfügung zu stellen (vgl.S.84f.), noch nicht veröffentlicht war", sagte 
er, „kannten die Landwirte die Schwierigkeiten der Fettverteilung an die Arbeiter der Schwerindustrie 
noch nicht. Die Fettversorgungsstelle stand bei ihrer Gründung vor ungeahnten Schwierigkeiten, die 
erst nach und nach beseitigt werden konnten. Im August 1915 war der freie Handel noch zugelaffen, 
erst als die Schwierigkeiten sich häuften, kam die Zwangswirtschaft. Im Mai, dem besten Monat 
der Milcherzeugung, der im Frieden etwa 400 000 Zentner Butter brachte, wurden nur 18O00 Zentner 
von der Zentrale verteilt. Der Handel war frei, die Einfuhr groß, trotzdem fehlte die Butter. 
Ganze Reihen großer Städte und Kreise mußten sich mit 40 bis 50 g Butter pro Woche behelfen; 
and er e wieder erhielten Wochen hindurch nichteinGramm. Die Folgen blieben nicht aus, die Kräfte 
der Arbeiter und Arbeiterinnen, die schwere Arbeit und Ueberstunden verrichten mußten, fielen ab. 
In einer Reihe von Fabriken der Kriegsindustrie wurden Untersuchungen angestellt, die erwiesen, 
daß die Leistungsfähigkeit der Arbeiter um etwa 30% heruntergegangen war. 
Der gemeinsame Feind ist die H a n d z e n t r i f u g e, deren Ankauf unheimlich zugenommen hat. Die 
Handzentrifuge ermutigt zur Zurückhaltung von Milch und zur Selbstbutterung, treibt demnach zur 
Uebertretung der bestehenden Verordnungen. Wer früher Milch an die Molkereien ablieferte, hat 
vielfach den direkten Verkauf an Private vorgezogen, der einen hohen Nutzen bot. Der wilde 
Butterhandel hat einen bedeutenden Umfang angenommen. Ein Landrat, der an einem Tage 
in einem nach Berlin fahrenden Zug eine Razzia hielt, hat 68 Pfund Butter und 2361 
Eier vorgefunden! Vorweg muß betont werden, daß es Frauen sind, die zurzeit viele land 
wirtschaftliche Betriebe leiten. Diesen Frauen sind von den Eltern eine vernünftige Vorratspolitik 
und eine Ausnützung der Konjunktur anerzogen, die wohl im Frieden, aber nicht im Kriege am 
Platze ist. Die Landwirte müßten anfangen, auf die eigenen Vorteile zu verzichten und geben, was 
daS Vaterland fordert." 
Auch seine Aeußerungen über den Schleichhandel mit der Butter sind so 
charakteristisch, daß sie wiedergegeben werden müssen. 
„Es ging dort noch einigermaßen, wo die Butter aus den Molkereien kam; sehr schwer war es aber, 
die sogenannte Bauernbutter heranzubekommen. Erstens schmeckt sie selber gut, zweitens brauchen 
die Kälber Milch, drittens ist der Aufkauf noch nicht genügend organisiert. Wenn der Landmann 
erst eine Reise machen soll, um seine Butter für Mark 2,20 abzugeben, so sagt er sich: Dann be 
halte ich sie lieber selber. LoS wird er sie schon. Wenn's dunkel wird, kommtein freund 
licher Herr und — gibt 8 bis 10 Mark. In den Städten schreit man dann über „Habgier 
auf dem Lande". Ja, geht denn die Frau in die Stadt und bietet sie für 10 Mark an? Oder 
kommen nicht die Städter in Haufen und betteln: egal, was es kostet, wir wollen die Butter haben!" 
Zur Vermehrung von Speisefett, dessen Mangel der Bevölkerung immer unangenehmer 
fühlbar wurde, machte die Regierung verschiedene Experimente. So ließ der „Kriegs 
ausschuß für Pflanzen und tierische Oele und Fette" in einem besonderen Verfahren 
fabrikmäßig aus den frischen Knochen Speisefett gewinnen und ordnete eine 
allgemeine Durchführung der Getreideentkeimung nach dem System des Professors 
Backhaus an, um auch aus diese Weise große Mengen Fett zu gewinnen. 
Obst und Gemüse 
Aus dem Obstmarkte entwickelten sich sehr bald recht unerfreuliche Verhält 
nisse. Die Obstpreise waren für die minder bemittelte Bevölkerung bald unerschwinglich. 
Das war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Preise für die Obstpachtungen ganz 
gewaltig in die Höhe schnellten. Als ein Beispiel von vielen dürfen die Vorgänge der 
Potsdamer Gegend im August 1916 angeführt werden. Während dort sonst die Feldmark 
Altdorf im Verpachtungstermin 100 Mark gebracht hatte, erreichte sie dieses Mal 
über 1000 Mark. Für die Feldmark Patiz erzielte man sogar ein Gebot von 2700 Mark, 
und für die Allee der Stadt Niemegk, die sonst 4 bis 500 Mark einbrachte, wurden 
2000 Mark bezahlt. Die Regierung sah dem ganzen Treiben zunächst tatenlos zu und 
kündigte erst Mitte September 1916 an, daß, um den Obst- und Gemüse-Auskäufen
	        
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