Volltext: Linzer Hessen

Veilinachtserinnerungen 
Dr. Leopold Strauß 
Weiß Sott, man denkt oft das ganze Zosir nicht an den 
Krieg, flber an Dezembertagen, wo in behaglicher Stube ein 
grüner Kachelofen gar wosilig schnurrt, dieweil draußen 
bedächtig Llocke aus Llocke fällt, da überkommen einen 
gern Weihnachtsgedanken aus jener Zeit, die wir die 
große genannt haben. 
* 
Seit einigen lagen weilten wir in einem für galizischc 
Verhältnisse ganz schmucken sjäuschen am SUdcnde von 
Dadlüw. wir hatten drin unseren siilfsplatz errichtet. Etwa 
eine Diertelstunde östlich vor dem Dorfe Siedler lag unsere 
Linie, aus der ab »und zu wie in Langweile knackend ein 
Schuß im Debel siel. Das zwischen Schnee und Degen 
schwankende Wetter hatte die an sich weiche Straße grund¬ 
los gemacht. Das war wosil auch westwärts so und dosier 
war die Leldpost stecken geblieben und die für bomben¬ 
sicher versprochenen Weisinachtssendungen erreichten unser 
erstes kriegs-Lsiristkind nicht. Denn wir schrieben den 
24. Dezember 1914. flber unsere ängstliche und freundliche 
Hauswirtin liesi uns isire altesirwürdigen Glaset, die viel¬ 
leicht ein Menschenalter unberührt im Schranke gestanden 
waren, wir putzten ein herziges Lsiristbäumchen heraus und 
ein Punsch brodelte im Kessel. Ls lag eine schweigende 
flndacht über allen, als wir die Lichter unseres Daumes an¬ 
zündeten und in den Stimmen lag Ergriffenheit, die das 
„Stille Dacht, heilige Dacht" mitsummten. 
Da brachten Dlessiertenträger einen jungen russischen 
Leutnant und legten isin hart neben den Lichterbaum. Es 
war ein schöner Mann, groß, schlank und sesinig. Zetzt aber 
lag er pulslos mit einem klaffenden Lungenschuß aus der 
Leldtrage. Ein stilles Leuchten irrte über sein wächsernes 
Sesicht und sein Blick war unverwandt auf den Lsiristbaum 
gerichtet, bis fein fluge trübe erstarrte, wir trugen den 
loten hinaus und wollten nun den weisinachtspunsch kreisen 
lassen, flber es war eine gedrückte Stimmung über alle 
gekommen, wir konnten uns unseres Daumes nicht freuen 
und verlöschten seine Lichter. 
* 
In einem galizischen Llecken war ein Leldspital als Epi¬ 
demiespital eingerichtet. In einem der vielen Zimmer lag 
delirierend ein junger Offizier und rang läge und Döchte 
hindurch mit der Kraft seiner Jugend um sein Leben. Und 
neben isim saß lag für lag und Dacht für Dacht schmal 
und blaß seine Pflegerin. Und isire durchsichtige kjand 
war isim eine viel lindere küsilung für seine fiebernde 
Stirn, als die Eiskompresse. Drüben im Saale hatten sie 
Weihnacht gefeiert. Weihnachten 1915. Die gesifäsiigen kran¬ 
ken hatten einen Lsiristbaum zu sesien bekommen und taten 
sich gütlich an Packwerk und Zigaretten und — wie doch 
der Mensch bescheiden wird — es war ein weisinachtsglück 
um sie. puf die einsame Schwester hatte man vergessen. 
Und es war doch auch weisinachtssesinsucht in isir. Da 
enteilte sie trotz des Derbotes und kaufte ein winziges 
Däumchen und schmückte es ihrem kranken. Und als die 
Kerzen leuchteten, sasi sie ein Leuchten im puge des Liebern- 
den. Und immer begehrte er isire küsilende sjand für seine 
Stirn, flm Morgen aber war das Lieber gefallen und der 
kranke wollte durchaus mit seiner Mutter Weihnacht ge¬ 
feiert siaben. Und da war ein wehmutsvolles weisinachts- 
glück im sjerzen der blaffen und schmalen Pflegerin. 
* 
pn der Straße von lonezza nach Lampana hatten wir 
uns Daracken gebaut. Die letzte war eben erst fertig ge¬ 
worden. Drum gaben wir isir den Damen „Lsiristkindlsaal", 
denn es kam der Weihnachtsabend 1916. Deiche Saben 
waren aus der fjeimat gekommen, das Korps des lsiron- 
folgers hatte überdies einige Protektionszubußen und der 
Krieg schwieg, wir konnten also diese Kriegsweihnachten 
festlich begehen. Beim flammenden Lichterbaum hielt der 
allzufrüh verstorbene Leldkurat Daher eine seiner Lsiristen- 
reden, die auch dem Heiden an die Seele greifen mußten. 
Der konnte so viel heilige sjeimat in die kriegsbaracken 
Welschlands zaubern, daß den struppigen kriegsmannen 
die Tränen nur so herunterkollerten. In eigenartiger Stim¬ 
mung schlenderte ich mit Daher nach der Lsiristbescherung 
durch die mondhelle Dacht. Der Limonesiang und die wellige 
Platte von lonezza erglitzerten in aber tausend Silberflim¬ 
mern und überall, wo schwarze Striche Stellungen an¬ 
deuteten, glänzten goldene Lunken: die Lsiristbäume der 
Soldaten, weit drunten im flsticotale glänzten sie ebenso 
wie am Hange des Limone. Und Daher und ich sasien, 
wie das Lsiristkind, das zum Sötte des Erbarmens und 
der Liebe wurde, zu Lreund und Leind in gleicher weise 
gekommen war und überall so viel weisinachtssrieden 
verbreitete, daß kein Schuß die heilige Dacht störte. Da 
verstanden wir den Krieg nicht und in tiefer Ergriffenheit 
betete Daher ein „Erlöse uns von dem Übel, flmen". 
* 
Die weisinachtsnacht 1917 sasi uns in Marschkolonne im 
Stizzonetale. Mancher derbe Soldatenfluch stieg in die trübe 
Lsiristnacht empor, wir verstanden nicht, daß gerade diese 
Dacht zur flblösung notwendig war. Sollte denn der Krieg 
das Decht haben, den letzten Weihnachtszauber zu zerstören? 
Es schien so. Die harte Kriegsnotwendigkeit erforderte es, 
daß das engere Gebiet der kämpfenden Truppe restlos vom 
Zivil gesäubert wurde. Und so stapften ganze Scharen 
Greise, Weiber und Kinder durch den weisinachtsschnee an 
UNS vorüber das Stizzonetal nordwärts gegen Leltre. In 
großen Dinkeln und Bündeln trugen sie isire bewegliche 
Habe mit sich. Und da sasi ich auf dem Marsche ein etwa 
vierjähriges Mädel an der fjanh seiner Mutter, flus großen 
Desiaugen rannen Tränen des Lrostes über ein blasses, 
schönes Sesicht. Und im krebsroten Händchen hielt das 
frierende Llüchtlingskind seine neue Puppe, die isim das 
Lsiristkind eben brachte, als es in die weite und kalte Weih¬ 
nacht hinaus flüchten mußte. Und die Weihnacht dieses 
Kindes ist mir unendlich nasie gegangen. 
* 
Weihnacht 1918. Ich eilte dem Linzer Dasinsiof zu, um 
noch den Zug zu erreichen, der mich nach langer Zeit zu 
einem Lsiristabend heimbringen sollte, fln mir vorüber 
zog ein Trupp junger Leute, halb in Zivil, sialb in verluder¬ 
ter Uniform. Leute, wie sie eben der Irrwasin einer kranken 
Zeit zu Herren der Straße gemacht hatte. Sie grösilten 
das Lied „wer wird denn die Straßen jetzt kesir'n? Die 
Herrn mit dö noblichten Stern, die wem unsere Straßen 
jetzt kesir'n". Der siufzug war widerlich. Es war das trübste 
weisinachtsdild, das ich in der Kriegszeit gesesien hatte. Ich 
hatte das Sefüsil, als sei eben der weisinachtsengel erwürgt 
worden. 
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