Volltext: Linzer Hessen

Um halb 4 Uhr morgens kam der Befehl zum Bückzug. 
Jede Deckung benähend, gingen wir langsam zurück, viele 
verwundete lasen wir aus und nahmen sie mit. fln den 
Leichen mancher am Wege zum Hilfsplatz gestorbenen Sol¬ 
daten gingen wir vorüber. Ilm dichten Sestaude am User des 
vunajcc bekamen wir wiederholt heftiges Feuer, durch das 
wir lange nicht weiter konnten. 
während andere Truppen den Flußübergang sicherten, 
marschierten wir über die kriegsbrücke bei Olszgni dorthin 
zurück, von wo aus wir wenig mehr als zwei Tage früher zu 
diesem blutigen Unternehmen ausgezogen waren. 
Hinter der russischen Stellung lag Tarnüw. wir haben es 
noch nicht erreicht. Erst ein paar Monate später — bei der 
Maioffensive — wurde es genommen, fluch in diesem Bin- 
gen standen wieder die Truppen, die einen harten Winter hin¬ 
durch treue wacht am vunajec gehalten — so wir ..liessen", 
die Bainer und die Tiroler Kaiserjäger — im vordersten 
Treffen. 
Osterfrieden 1915 am Vunajec 
von Oberleutnant i. d. Bes. Lrnrnerich Vicht! 
..wissen Sie schon, daß soeben ein russischer Parlamentär 
eintraf, den man zur Division führte?" fragte mich mit freu¬ 
diger Lrregung unser Putzer Jakob, als er mit dem Morgen¬ 
kaffee in das Lrdloch, das uns als Deckung diente tzerein- 
kroch. 
wir lagen damals mit dem Begiment vor dem vunajec 
beim vorfe Janowice im Stellungskrieg, knapp rückwärts, 
ja teilweise unmittelbar bis an unsere Srabenlinien herrschte 
ziviles Leben. Da stand, jenseits der Straße nach Tarnüw, direkt 
vor unserer Stellung ein Bauernhaus, dessen Bewohner ihrer 
gewohnten Tagesbeschäftigung nachgingen und das Feld be¬ 
stellten, trotzdem unzweifelhaft Krieg war. Linmal konnten wir 
gerade sehen, wie der Bauer samt Ochsengespann beim pflügen 
vom Luftdruck einer dicht bei ihm einschlagenden russischen 
Branate weggeschleudert wurde, flber die Leute dort waren 
den Krieg so wie wir gewöhnt, mag sein, daß sie alles nur 
als vorübergehende Maßnahme betrachteten. 
Vie feindliche Stellung lag auf achthundert bis tausend 
Schritt entfernt. Tagsüber sandten uns die Bussen scharf 
gezieltes Sewehrfeuer sowie zeitweilig einige Sranaten und 
Schrapnells und nachts gab es allenthalben blutige Über¬ 
fälle auf unsere Feldwachen. Doch unbeschwert um etwaige 
Lreignisse des nächsten Morgens nahmen wir Soldaten das 
Leben damals lsin. Bot und Brauen lag zurzeit nur in der 
Vergangenheit, im Lrinnern an die Kämpfe am San und im 
karpathenwinter. Jetzt war Frühling und vielleicht brachte uns 
schon die nahe Zukunft den Frieden. 
5s war für uns klar, daß der Parlamentär eine Mission 
haben mußte, die mit unserer rosigen Stimmung irgendwie zu¬ 
sammenhing, obzwar niemand im Braben, selbst der Baons- 
kommandant, von der Sache eine flhnung hatte, wir haben 
auch später nichts darüber erfahren, aber von jener Stunde 
an, wo dieser russische Leutnant mit der weißen Fahne durch 
unsere Linien ging, waren wir überzeugt, daß etwas ge¬ 
schehen werde. Zunächst wirkte diese Tatsache aus unseren 
Unternehmungstrieb anregend, fllles, was noch vom Bacht- 
dienst her in den Luchslöchern schlief kroch heraus, flllmätz- 
lich wurden dann die köpfe, allerdings vorsichtig, über die 
Brustwehr hinausgesteckt, bis schließlich irgend jemand als 
erster hinauskletterte und bei den Drahtverhauen aufrecht 
stehend frei umherblickte, wirklich, wie schön und lustig 
war es heut", vie Landschaft mit ihren kleinen Hügeln und 
Wäldchen war vom Frühlingslicht überflutet und nirgends 
wurde diesmal geschossen, fluch die sibirischen Scharfschützen 
verhielten sich ausnahmsweise still, wohlig empfanden die 
flugen das frische Brün der wiesen und Felder und so begann 
der Bstersonntag schöner als wir es erwarten konnten. 
östlich der russischen Hügelstellungen sah man in der Ferne 
in schwachen Konturen die Stadt Tarnüw und weitab im 
Hintergrund undurchdringliche dunkle Wälder mit weißen 
Birken am Bande. 
Bun bemerkten wir aus einmal bei den düsteren Felsen 
drüben Bussen. Ja, durch das Blas sah man nun ganz genau 
ihre Bewegungen und das Bestreben, gleich uns ihre 
Deckungen zu verlassen um sich zu sonnen, wie windmützlen- 
flügel bewegten sich ihre flrme: fast schien es, als wollten 
sie uns etwas Freudiges mitteilen. 
Sie verbeugten sich gar vor unserer Front, aber leider 
konnten wir aus ihrem Benehmen nicht klug werden. 
plötzlich johlte es im Laufgraben. Line Schar unserer 
Leute kam heran, vor ihnen lies ein vorsschwein. Las ein 
galizischer Bauer mit wildem Beschrei verfolgte. „Da schau, 
ein Bsterschweinchen!" riefen die herumstehenden freudig und 
leckten sich die Lippen, fllle haschten danach, aber sobald 
jemand zufaßte, quiekte die vorfsau so furchtbar, daß man sie 
wieder loslassen mußte, weil es durch Mark und Bein ging, 
flufgeregt und gespannt beobachteten wir vom Brabenrand die 
wilde Treibjagd. 
wie lange soll denn das noch so weitergehen? Unten, wo 
die Straße nach Tarnüw unsere Stellung schneidet, hört doch 
der Braben aus, und diese Stelle ist besonders dicht ver¬ 
drahtet. Vas Schwein aber hatte selbstverständlich Blück. Ls 
fand ein Loch, schlüpfte durch und raste gegen die russischen 
Deckungen. Hinterher unglaublicherweise ein paar Hessen 
ohne Waffen, die die köstliche Beute nicht fahren lassen 
wollten. 
Bald blieb uns aber der Mund vor Staunen offen, flus 
dem feindlichen Braben sprangen auch einige Moskalis und 
rannten, ebenfalls waffenlos, dem Schwein oder unseren 
Leuten entgegen. Leider entzog eine Mulde beim Wäldchen, 
wo die gegnerischen Jäger zusammenstoßen mußten, das 
weitere unseren Blicken, werden die Bruppen miteinander 
raufen, eine die andere gefangennehmen? fltemlos warteten 
wir auf die Lösung dieses Bätsels. 
Nach etwa 13 Minuten, die uns eine Lwigkeit schienen, 
tauchten wieder zwei Hessen aus. Sie schlenderten ruhig gegen 
den eigenen Braben, hielten etwas in den Händen, was sie 
nach jedem zweiten Schritt aufmerksam betrachteten. Bun 
wußten wir das Beheimnis. vie Kerle haben das Schwein 
Schwein sein lassen und mit den Bussen Tauschhandel ge¬ 
trieben. So etwas steckt an. vergessen waren Feindschaft, 
Kamps und Bot. Vie flngehörigen zweier Völker hatten geld¬ 
los den urtümlichen Büteraustausch ausgenommen, von bei¬ 
den Seiten erhoben sich nun Bestalten und liefen in das 
Birkenwäldchen, fluch der Kadettenputzer, unser Jakob be¬ 
teiligte sich an dem Beschäst. Bald kam er mit russischen Ziga¬ 
retten zurück, die er gegen unseren guten „Bims" eingehandelt 
hatte. 
Da stand plötzlich der strengste Stabsoffizier des Begi- 
mentes auf der Brüstung und rief mit Donnerstimme die 
Tauschbeflissenen zurück, die wie Murmeltiere in ihren Löchern 
verschwanden. 3m gleichen flugenblick wurde auch der 
russische Parlamentär, der Bsterfriedensengel mit seiner weißen 
Falzne und zwei Trompetern über den Drahtverhau geführt. 
Verschreckt und zaghast, sich immer wieder nach uns um¬ 
drehend, verzogen sich die Buffen in ihre Stellungen, wie 
betrübte Kinder, gerade so als ob wir ihnen ein schönes Oster¬ 
fest gestört hätten, wichen sie von uns. 
Vie frohe Stimmung war wie abgeschnitten, der Krieg 
begann wieder. 
Sir
	        
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