Volltext: Linzer Hessen

pls mir einmal ein offiziersdiener sagte, die Serien 
warten auf mich im ..0ffiziers-vabglon" ser meinte offiziers- 
pavillonj, hat er jedenfalls ganz unbewußt, aber sehr treffend 
einen ganz famosen Mit; gemacht. 5ine weitere geistige fln- 
regung und Zerstreuung bildeten die von Zachleuten gelzalte- 
nen Vorträge, fln erster Stelle müssen wohl die ganz lzer- 
oorragend künstlerischen Varbietungen eines Kameraden, der 
Vcrufsfchauspieler war, angeführt werden. Jederzeit bereit 
las er Klassiker, bereitete uns damit so manche genußreiche 
Stunde und verscheuchte aus einige Zeit die trüben Sedanken. 
flber auch auf wissenschaftlichem Gebiete konnte man aus 
Vorträgen von Universitätsprofessoren und anderen Kapazi¬ 
täten seine Kenntnisse bereichern, waren doch viele unter 
uns, die seit ihrer Studienzeit nur sachwissenschastliche Werke, 
die sie für ihren Beruf brauchten, studiert hatten. flufklärun- 
gen über die neuesten Zortschritte der Wissenschaft, namentlich 
aus dem Gebiete der Elektrizität, Chemie, Medizin, flstro- 
nomie usw., war allen sehr willkommen. 
fluch Kurse über Buchhaltung, Bankwesen usw. wurden 
abgehalten. Überdies konnte man durch wissenschaftliche 
Werke aller flrt, die in der Bibliothek vorhanden waren 
seine Kenntnisse erweitern. Biese Bibliothek wurde durch 
Übersendung von Büchern aus lientsin von Zrau v. lzanneken 
und durch Spenden einzelner fferren gebildet und erhalten. 
Zür die Lortbildung der wannschastspersonen svienerj in 
den offizierslagern wurde auch in der weise gesorgt, daß 
llffiziere als Lehrer für einzelne Unterrichtsfächer, wie zum 
Beispiel Sprachen, Stenographie, Maschinenbau, Mechanik 
usw. fungierten, vie außerhalb des Offizierslagers lebende 
Mannschaft hatte durch flbkommandierung zur Zeldarbelt 
oder Zabriken Selegenheit, sich in ihrem Berufe weiter zu 
bilden. 
Zast in jedem Lager wurde auch Sesang und Musik be¬ 
trieben. vies bot sowohl den Übenden als auch den Zuhörern 
eine angenehme Zerstreuung, fluch die Sottesdienste wurden 
durch Sesang und Musik feierlicher und erbaulicher gestaltet. 
Zeitweise wurden Konzerte gegeben, die, allen Seschmacks- 
richtungen Bechnung tragend, klassische und leichte Musik 
brachten, wir hatten im Lager ein Streichquartett, das wirk¬ 
lich künstlerische Leistungen auszuweisen hatte und an die 
beste heimische Kammermusik erinnerte. Mit wehem Gefühl 
hörte man fesche liebe Walzer aus bekannten Operetten, 
Volkslieder und Sassenhauer, die an daheim verlebte fröhliche 
und lustige Stunden erinnerten. Vst wurden dabei die flugen 
naß und man konnte es manchem vom Sesichte ablesen, 
welche Sedanken bei dem Klange dieser heimatlichen Lieder 
durch seinen Kops gingen und wie sie sein lzer; bewegten. 
5s gab unter den Kriegsgefangenen auch ganz gediegene 
Komponisten, die nicht nur Konzertstücke und Lieder, sondern 
auch Opern und Kirchenmusik schrieben. Erwähnenswert er¬ 
scheint noch der Umstand, daß viele Instrumente von den 
Kriegsgefangenen selbst erzeugt wurden. Violinen, Mando¬ 
linen, Sitarren, Zimbale, ja sogar Baßgeigen waren oft Eigen¬ 
bau. vie Kapellmeister und Begenschori mußten die ein¬ 
zelnen Partituren selbst schreiben. 
flußer der geistigen Beschäftigung wurde aber auch für 
die phgsische Tätigbeit gesorgt um halbwegs gesund zu blei¬ 
ben, denn die ewigen Bundgänge im siofe um das mit 
drei Meter hohen Planken und Stacheldraht eingefriedete 6e- 
bäude reichten für die notwendige Körperbewegung nicht aus. 
So wurde im ersten Sommer der Kriegsgefangenschaft mit 
emsigem Zleiße aus dem Lagerhofe alles Wurzelwerk der 
mitunter uralten Bäume gerodet, dies gab flrbeit, die fast 
drei Monate dauerte und zu der alle Werkzeuge aus eigenem 
beschafft werden mußten. Erst dann konnte an die flnlage 
von lennis-, lurn- und Fußballplätzen sowie von Kegelbahnen 
und Sartenanlagen geschritten werden, vie Erträgnisse der 6e- 
müsegärten waren namentlich zur Kostaufbesserung von 
wesentlicher Bedeutung, flber auch die Blumenkultur erfreute 
lzer; und fluge in den sonst so kahlen und schmucklosen Lager¬ 
höfen. Vie Vegetation war in Ostsibirien erstaunlich üppig 
Zierpflanzen, die bei uns nur in Blumentöpfen gezogen wer¬ 
den, haben dort eine solche Sröße und Stärke erreicht, daß 
ihre europäischen Schwestern dagegen die reinsten Zwerge 
blieben, vie Semüse erinnerten bei ihrem unerhörten Wachs¬ 
tum an die bekannten Plakate der Mauthnerischen Biesen¬ 
gewächse. Immer wieder bedauerten wir, daß in unserer 
lzeimat nicht auch eine so vorzügliche fette Erde und eine so 
wunderwirkende Sonnenwärme Land und Leute beglücken, 
lausende und aber lausende von guadratkilometern des 
herrlichsten Humusbodens liegen dort brach. Bei rationeller 
Kultur könnte Ostasien allein die ganze Welt mit Lebensmitteln 
versorgen, kein Wunder daher, daß Japan diese Bodenschähe 
erkennend, seine flusdehnungsgelüste bis in dieses Gebiet 
erstreckt. 
Vie flrbeitsverWlmsse der Mannschaft 
vie Mannschaft mußte für den Staat und für Privatleute 
flrbeiten ausführen. Bur ein geringer leil versah den Vienst 
als Viener oder professlonist in den offizierslagern. 
Ein russisches Sesetz vom Oktober ISIS bestimmte, daß 
flrbeiten für den Staat von den Kriegsgefangenen unent¬ 
geltlich ausgeführt werden müssen, was in direktem Wider¬ 
sprüche zu den einschlägigen Bestimmungen der siaager Kon¬ 
ferenz stand. Vie flrbeitsmannschast bekam nicht einmal eine 
sogenannte Verköstigungszulage und hatte auch an Sonntagen 
nicht frei. Erst auf eine im Mär; 1916 von Seite des Papstes 
gemachte Vorstellung durste der Sonntag der Buhe gewidmet 
werden, fluch in jenen Zöllen, wo die Mannschaft für private 
arbeiten mußte, wurde ihnen zumeist der Lohn vorenthalten: 
so ;. V. erhielten meines Wissens die Kriegsgefangenen, die 
beim Vau der flmurbahn beschäftigt waren ein halbes Jahr 
hindurch nicht einen Kopeken Entlohnung. In den Sommer¬ 
monaten wurden die Kriegsgefangenen zu landwirtschaftlichen 
flrbeiten in das europäische Bußland überführt, fluch dort 
war die Entlohnung keine fixe und geregelte und nur von der 
Ehrlichkeit der flrbeitgeber oder sonstiger 0rgane abhängig. 
Um der Mannschaft zur Bestreitung des flllernotwendigsten 
für ihren Lebensunterhalt zu helfen, wurde daher in fast allen 
offizierslagern monatlich ein Beitrag für den Mannschasts- 
unterstützungsfonds geleistet, flußerdem wurden alle möglichen 
Veranstaltungen, wie zum Beispiel Konzerte, Schauturnen, 
Lennis- und Lußballmatch usw. in Szene gesetzt und die Er¬ 
trägnisse dem Mannschastssonds zugeführt. Besonders flössen 
auch durch die flbgabe eines bestimmten Betrages für jeden 
eingelaufenen Brief, Karte, Telegramm, Paket- und Seld- 
fendung dem Mannschastssonds Mittel zu. Leider ist aber bei 
dem großen Stand der Mannschaft die für den einzelnen zur 
fluszahlung gelangte guote trotzdem sehr gering ausgefallen. 
Lagen und Löhnungen 
obwohl von der russischen Negierung für Offiziersgagen 
und Mannschastslöhnungen bestimmte flusmaße festgesetzt 
worden waren, kamen diese Sebühren sehr oft gar nicht oder 
verspätet, zumeist erst über wiederholte Beklamationen und 
dann mit ungerechtfertigten flbzügen. Es wird wohl keinen 
einzigen Kriegsgefangenen geben, der alle seine Sebühren 
während der Kriegsgefangenschaft in voller lzötze und zeitge¬ 
recht erhalten hat. flls ein Beispiel will ich nur anführen, daß 
im flugust ISIS, also genau ein Jahr nach Beginn des 
Krieges, die Forderungen an unausbezahlten Sagen jener 230 
offiziere, die in krasnaja-Bjetschka unter meinem Kommando 
standen, schon etwa 10.000 Bubel betrugen. 
vie lzöhe der Sage war wie folgt pro Monat bemessen: 
Seneral 100 Bubel, Stabsoffizier 75 Bubel, Oberoffiziere 
skadettenj SO Bubel. ver fluszohlungstag sollte der 20. eines 
jeden Monats jnach russischer Zeitrechnung) sein. Bur in 
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