Volltext: Linzer Hessen

Offiziers-Kriegsgefangenenpavillon in krasnaja-Rjetschka, Sibirien (Ostasien) 1914/15 
ofsizier, fjouptmann, Subaiternosfizier, praportschik oder 
Unteroffizier, wie diese ikren Dienst in bezug aus die Kriegs¬ 
gefangenen auffaßten, ist durch den flusspruch des Sarnisons- 
kommandanten in krasnaja-Rjetschka am besten gekenn¬ 
zeichnet. kr sagte einmal: „Ich K"be nur dafür zu sorgen, 
daß die Kriegsgefangenen nicht oerkungern und nicht cnt- 
fiiet>en. fllles andere geizt mich nichts an!" Diesen Stand¬ 
punkt scheinen so ziemlich alle Lagerkommandanten geteilt zu 
Koben, denn sonst könnte man sich die ganz unfaßbare Sleich- 
gültigkeit, in allem, was die Lürsorge betrifft, nicht erklären. 
Dur wenn es auf Verschärfungen, Vestrafungen, Re- 
pressalicn usw. ankam, da waren die Russen von einer un¬ 
glaublichen Dükrigkeit und Dafchkeit. Das flbfichren auf die 
stauptwache oder in den flrrest geschak mit einer verblüffenden 
Seschwindigkeit. Das Freigeben eines Kriegsgefangenen aus 
dem flrrest erfolgte fast niemals nach flbbüßung der Strafe, 
sondern immer um einige läge oder Wochen später. Da wurde 
merkwürdigerweise stets auf den flrrestanten vergessen und 
nur über mekrmaiiges Bitten der Kameraden konnte er das 
flrrestlokal verlassen. 
Für Degleitzwecke, zum kinkauf, Besuche beim Zaknarzr 
oder in einem anderen kagerbezirk körte man ständig die flus- 
rede, daß es nicht ginge, weil zu wenig Begleitmannschaft 
skonvoij zur Stelle sei. Die stauptdiensttätigkeit der Bussen 
war die Kontrolle, das ist die Standesüberprüfung, die ge- 
wöknlich nur von einem Unteroffizier oder Soldaten okne 
tkargengrad durchgcfükrt wurde. Bst überprüfte man drei- 
oder viermal am läge oder in der Dacht den Stand. Da die 
russischen Soldaten keine Rechenkünstler waren und sich immer 
verzäklten, dauerte eine solche Standesüberprüsung oft eine 
Stunde. 
Der rangälteste Offizier der österreichisch-ungarischen welzr- 
macht sükrte in jedem Lager das Kommando und kalte eine» 
Stab von Offizieren als notwendige Sekilfen und Referenten 
zur Verfügung. 
ks gab fast Keinen Offizier sFäKnrichj, der nicht im Inter¬ 
esse der Kameraden irgend eine Funktion ausübte. 
Die wvlfnungsverliältmsse 
Die Bequartierung der Kriegsgefangenen war so ver¬ 
schiedenartig, daß eine allgemeine Beschreibung unmöglich ist, 
denn sie weist alle flbstufungen von soliden, festen Bebäuden 
bis zu Schweineställcn auf. Die schlechteste Kategorie waren 
die zum leil in den krdboden eingebauten stolzbaracken, weil 
diese mangels einer Ventilation die eigentlichen InfeKtions- 
Kerde für die kpidemien bildeten, fluch den Offizieren wurden 
in den meisten Fällen zur Bequartierung nur leere, feuchte und 
dumpfe Zimmer zugewiesen, flußerst selten bekamen sie außer 
einem einfachen leeren vettgestell auch noch ein Dachtkästchen. 
Die Wannschaft kalte als Liegestelle bestenfalls stolzpritschen, 
die so knapp übereinander angebracht waren, daß sie nicht 
einmal Raum zum Sitzen boten. Für alle Unterkünfte kann 
gesagt werden, daß sie stets überfüllt waren und von Un¬ 
geziefer strotzten. Durch die tzäufigen lransporte, die in den 
meisten Fällen per Batzn in schmutzigen Mannschasts- oder 
Vietzwagen durchgefützrt wurden, ist immer wieder neues 
Ungeziefer eingeschleppt worden. Datzer tzerrschte in allen 
Lagern ständig große flnstechungsgefatzr. Bettzeug wurde 
weder den Offizieren noch der Mannschaft ausgefolgt, so daß 
die Kriegsgefangenen auch in der strengsten Kälte sich mit 
dem betzelfen mußten, was aus eigenen Mitteln beschafft 
werden konnte oder was sie auf dem Leibe trugen. Das gute 
ster; und die noble Denkungsart meines sieben Freundes 
Icnner bezeugt folgendes Vorkommnis: kin uns fremder 
Infanterist bettelte im Offizicrslager um ein stcmd. lenncr 
Katte zwei vollkommen zerfetzte und ein fast neues. Dach 
kurzem Dachdenken schenkte er dem armen Kerl sein bestes 
stcmd. Uber diese geradezu biblische Mildtätigkeit bewegt, 
frug ich lenner um seine Bründe — und er meinte ganz selbst¬ 
verständlich: „steifen muß man, ich kann itzm doch keinen 
stadern geben! — Mas würde er denn von einem Offizier 
Kalten?" 
Die krnälirung 
Die Offiziere mußten die ganze Verköstigung aus ikren 
Sagen bestreiten, die wok> anfangs dazu ausreichten, später 
aber durch die flusbeutung der Lagerkantinen und durch die 
Karrende Preissteigerung viel zu gering wurden. Die Mann¬ 
schaft erkielt von seiten des russischen Staates anfänglich täg¬ 
lich in natura zwei Pfund gebackenes Brot sowie 24 Solotnik 
Buchweizen oder stirse für die Bereitung der Kascha und zirka 
6 Kopeken Mcnagegeid für die übrigen Lebensmittel. Die 
Verschlechterung der Menage, die sterabsetzung der Brotgebützr 
und des Menagegeides natzm derart rasch zu, daß die Leute 
schon im Zatzre 191? nake dem verkungern waren. 
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