Volltext: Frankreichs finanzielle Oligarchie [66]

der Kammer. Nach und nach trat auch in der Kammer insofern 
ein Wandel ein, als man fühlte, wie der Äerr und Meister immer 
mehr auf nationalistische Wege gedrängt wurde, und als man der 
imperialistischen Strömung zur Bewilligung und Entschuldigung 
der für die Fortführung der kostspieligen Kolonialpolitik bestimmten 
Kredite bedurfte. Aber man kann wohl sagen, daß sich die Mehrheit 
der Kammer aus dem Vorwurf, Frankreich hinke hinter der Welt¬ 
geschichte einher, wenig machte und es einzelnen „Spezialisten", 
so vor allem Äerrn Poincaré, überließ, diesen Vorwurf durch die 
Tat Lügen zu strafen. Man liebte es nicht, von seinen Kirchturm¬ 
interessen abgelenkt zu werden. 
Schwer geschädigt, wurde das Prestige der finanziellen Olig¬ 
archie Frankreichs durch die budgetäre Finanznot der dritten 
Republik, deren Arsachen, Wesensart und Entwicklungsmöglich¬ 
keiten hier ebenfalls skizziert werden müssen. Äier darf vielleicht, 
zum besseren Verständnis, eine historische Parallele gezogen sein. 
Die große französische Revolution, die nicht an einem Tage herein¬ 
brach, ist undenkbar ohne die ihr vorangehende Finanznot des 
Königtums. Die teilweisen Bankbrüche und das fiskalische Elend 
waren es, die die Versammlung der Notabeln und die Einberufung 
der Stände zeitigten, also eine Entwicklung anbahnten, die mit 
dem Sturz des Königtums endete. Die finanzielle Katastrophe 
mußte kommen, da der Äof und die privilegierten Stände die 
öffentlichen Einnahmen teils vergeudeten, teils zu der so notwendigen 
Stärkung ihrer dominierenden Stellung verwendeten, bis das Volk 
ausgeschöpft und in so hohem Maße am Ende seiner Geduld an¬ 
gelangt war, daß es als vernichtendes Werkzeug gebraucht werden 
konnte. An diese Vorgeschichte der französischen Revolution wird 
der scharfe Beobachter der Finanznöte Frankreichs vor dem Kriege 
denken müssen, ohne hierbei den Vergleich allzu weit zu ziehen. Aber 
hier haben wir, wie beim ancien rêZime, eine steigende Verschuldung 
des Staates zu großen Gunsten einer privilegierten Klasse, hier 
wie damals war eine Plejade kluger und klügelnder Juristen und 
Wissenschaftler mit der Aufrechterhaltung der Herrschaft dieser 
Klasse betraut; und hier wie damals schließlich haben wir ein in 
zwei Lager gespaltenes Frankreich, diesmal auf der einen Seite 
die wohlhabende Bourgeoisie, die sich mit dem Mut der Ver¬ 
zweiflung fast gegen jede wirkliche Schmälerung ihrer pekuniären 
Macht wehrte, auf der anderen Seite die breite Schicht des kleinsten 
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