Volltext: Frankreichs finanzielle Oligarchie [66]

Jahren wirtschaftete man sowohl in politischer wie in ökonomischer 
Aussicht in tollster Weise in Frankreich, seit etwa vierzig Jahren 
wurde dieser Staat von einer oft Raubbau betreibenden finan¬ 
ziellen Oligarchie beherrscht, es waren während dieser Zeit in Frank¬ 
reich Kräfte am Werk, die alles andere denn völkerstärkend sind, 
und dennoch stehen wir heute einem ziemlich einigen und geschlossenen 
und für viele überraschend starken Frankreich gegenüber. (Man 
vergleiche Frankreich in dieser Linsicht mit dem „radikal-liberalen" 
England, das ebenfalls durch eine finanzielle Oligarchie gekenn¬ 
zeichnet ist, die aber nur acht, neun Jahre zu Mißwirtschaften 
brauchte, um die schwersten inneren Krisen hervorzurufen.) 
Ein furchtbar schwerer Druck war Frankreich durch die R i e d er - 
läge im Kriege 1870/71 auferlegt worden, welch letzteren man 
hinsichtlich seiner kulturellen Folgen als das Gegenstück zu dem 
Dreißigjährigen auffassen kann, cum grano salis. Wie damals 
die ftanzöfische Kultur in Deutschland siegte, so begann nach dem 
Frieden von Frankfurt ein teilweiser Siegeszug der deutschen 
Kultur, vornehmlich der deutschen Methode und Wissenschaft, in 
Frankreich. Diejenige Generation, die diesen Druck auszuhalten 
hatte, hat sich niemals wieder ganz erholt. Aber mit dem Ab¬ 
sterben dieser Generation mußte auch der Druck Nachlassen, was um 
die Wende des Jahrhunderts stattfand. Also entgegen der reichlich 
billigen Völkerpsychologie, nach der durch das Verschwinden der 
Generation von 1870/71 auch die Vergeltungssucht schwinden 
müsse, sei betont, daß diese Generation uns nicht gefährlich, weil 
sie gebrochen war; die Vergeltungssucht mußte aber wieder er¬ 
starken, weil ihr in der jungen Generation ein ungebrochener Träger 
erwuchs. Gerade weil jene verschwanden, „die sich erinnerten", 
wurde Frankreich immer „stolzer" — denn diese „Erinnerung" war 
nicht gerade angenehm, man konnte nicht „stolz" auf sie sein, sie war 
ein die Vergeltungssucht hemmendes Moment allerersten Ranges. 
(Es sei hier eingeschaltet, daß Gambetta, der Vertreter des geschlage¬ 
nen Frankreich, an eine Vergeltung ernsthaft gar nicht dachte, was 
durch einige sehr interessante Neuerscheinungen auf dem ftanzösischen 
Büchermarkt unlängst wieder belegt worden ist.) Derart ist es auch 
zu erklären, daß man noch in dem Frankreich vor dem Kriege den 
Schatten Bismarcks mehr fürchtete als das moderne Deutsche Reich, 
obwohl dies so viel stärker geworden war als das Deutschland des 
Eisernen Kanzlers, der den Schlag von 1870/71 geführt hatte. 
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