Volltext: "Mitteleuropa" [92]

Germanen östlich des Rheines und ihre slawischen Nachbarn 
wieder dem alten Weltzusammenhang ein, und erst mit dem Zer¬ 
fall seines Reiches sonderten sich die Deutschen von den Franken 
als ein besonderes Volk, das mit den Ausgaben, die europäische 
Kultur nach Osten vorzutragen und gegen den Ansturm des Ostens 
zu verteidigen, nunmehr auch seine besondere Eigenart zu ent¬ 
wickeln beginnen konnte. 
Das für die Geschichte Mitteleuropas entscheidende Ereignis 
ist die Übernahme des Kaisertums durch die Deutschen, segens¬ 
reich und verderblich zugleich. Die Jahrhunderte des mittelalter¬ 
lichen Kaisertums gestatten den Deutschen als seinen Trägern 
nicht, sich zu einer nationalen Einheit im politischen Sinne zu 
entwickeln, denn die Idee des Kaisertums ist universal. Von der 
Antike übernahm sie die Forderung politischer Weltherrschaft auf 
der Grundlage einer von nationalen Gegensätzen freien Gemein¬ 
schaft des Lebens. Diese Forderung zu verwirklichen, war das 
Heilige Römische Reich außerstande; entscheidend hat es in die 
Geschichte des Weltteils niemals eingegriffen. Durch die Kultur 
der Antike war in Denkweise und Sprache der Gebildeten in 
Europa die Gemeinschaft gestärkt worden, die endlich durch die 
seelische Verbundenheit in der gemeinsamen christlichen Kirche ge¬ 
krönt wurde. Der Kaiser erhob nicht den Anspruch, das Ober¬ 
haupt der Deutschen zu sein — das war er als ihr König —, 
sondern er wollte als das weltliche Haupt der Christenheit an¬ 
gesehen werden, die eine große Familie der Gläubigen war, eine 
Familie, deren Glieder sich nicht national in Völker, sondern stän¬ 
disch und rechtlich als Fürsten und Herren, Ritter, Bürger und 
Bauern, Freie, Ministeriale und Anfreie voneinander schieden; über 
die Grenzen der Völker hinweg hielten diese Stände zusammen, 
die gegeneinander höhere Schranken aufgerichtet hatten, als es 
die von Nationalität und Kultur damals waren. 
Während aber das deutsche Kaisertum den Kampf mit dem 
Papsttum um die Beherrschung der Welt ausfocht, war es hier¬ 
durch zu sehr überlastet, die Stellung seines Königtums in Deutsch¬ 
land auszubauen, ja seine innerpolitische Geltung wurde gleich¬ 
mäßig dadurch untergraben, daß der König Rechte verschleuderte, 
um die Hilfe der politischen Gewalten Deutschlands für den 
Kampf des Kaisers gegen den Papst über das Maß ihrer 
Pflichten hinaus zu gewinnen, oder auch nur einer Verletzung 
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