Volltext: Mappe I: In den Karpathen (Mappe 1 ; / 1916)

ERZHERZOGIN AUGUSTA AN DER FRONT. 
In den ersten Maitagen 1915 herrschte vor dem Korpsfeommando zu Keicse 
reges Leben. Autos sausten hin und her, von allen Richtungen kamen Ordon- 
nanzen, Motorfahrer und Reiter, es durchzuckte die Telephondrähte, Befehle 
gingen, Meldungen kamen. Große Nachrichten waren eingetroffen. ’Weit über 
den Bergen bei Gorlice war der gewaltige Schlag gelungen, zu dem die öster¬ 
reichisch-ungarischen und deutschen Kräfte seit Monaten im stillen ausgeholt, 
und nun sollte auch hier das monatelange Stillhalten sich in stürmischen Vor- 
marsch verwandeln. Offiziere, Ordonnanzen eilten vorbei, kaum achtete man 
mehr darauf; aber plötzlich fuhr ein offenes Auto heran, das aller Aufmerk- 
samkeit fesselte. Eine Dame saß darin im schmucken Feldgewande der Pflegerin, 
begleitet von einem Herrn in Zivil. Die Leute staunten das elegante Auto an, 
denn es ist selten, daß hier herauf in die Welt des Krieges zu den Männern 
und Kämpfern eine Frau sich wagt; aber nur einen Augenblick staunten sie, 
dann zuckte die Hand auf zum ehrfürchtigen Gruß. Denn diese edle Frau, die, 
allen Schwierigkeiten und Strapazen trotzend, bis zu den gefährlichsten Posten 
des Krieges kommt, kennt jeder. Sie ist der gute Engel Ungarns, die Erz-' 
herzogin Augusta, Gemahlin des Erzherzogs Joseph, die Hofrat Adolf von Libits 
auf einer Inspektionstour begleitet. Viele Offiziere kennen sie schon aus der 
Friedenszeit und manche unter der Mannschaft aus den Spitälern, wenn sie 
dort wund lagen und jene im Gewände der Pflegerin ihnen dienstfertig und auf¬ 
opfernd Hilfe und Labung brachte. Aber nun ist sie dem Kriege nachgereist, um 
nicht nur die wohleingerichteten und prächtig organisierten Spitäler der Haupt¬ 
stadt zu sehen, sondern auch die improvisierten des Feldes zu inspizieren, die 
Baracken der Infektionskranken und die Abschubstellen der Sch wer verwundeten. 
In kahle Räume, in die heiße, von leisem Stöhnen durchzitterte Luft der 
Krankenzimmer tritt sie mutig hinein, von Bett zu Bett schreitend, und für 
jeden der Verwundeten hat sie ein mildes Wort. Sie überprüft die Kost, stellt 
Fragen an jeden einzelnen, begleitet von ihrem Gemahl, dem Erzherzog (Bild 27). 
Sie besucht sowohl die Spitäler der Etappe als auch die Baracken, in welche 
an der Endstation der Feldbahn die eben erst Verwundeten hingebracht werden. 
Kaum aus der Hölle des Todes gerettet, empfängt sie dort im erlauchten 
Symbol der prinzeßlichen Hüterin die Liebe und Sorgfalt des Landes. Die 
Kranken schlagen die Augen auf und sehen, wie auch die fürstliche Frau für 
sie sorgt, und fühlen sich geborgen. Alle ihre Beschwerden werden gehört, 
ihre Leiden gelindert und dieser aufopfernde Gang der Erzherzogin wird zur 
Tröstung für unzählige Verwundete. 
Die kühne Frau, die in hunderten und tausenden Fällen der fast unabweis¬ 
baren Gefahr der Ansteckung mutig getrotzt, scheut aber auch die andere Ge¬ 
fahr, die der Feindesnähe, nicht. Von den Barackenspitälern fährt das erzherzog¬ 
liche Paar mit einem Wagen in raschem Trab nach Minye-vägäsa, wo sich eben 
Generalmajor von le Beau (damals Divisionär), aufhält, und von dort aus wird 
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