Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

66 
Die Friedenskonferenz. 
□□ 
Am IS. Dezember wurde aus Konstanti- 
nopel berichtet: Der Ministerrat habe sich zu 
Verhandlungen mit Griechenland auch ohne Ab 
schluß eines Waffenstillstandes in der Erwägung 
bereit erklärt, daß es vorteilhafter sei, die Feind 
seligkeiten mit Griechenland während der Frie 
densverhandlungen fortzusetzen, da die Hoffnung 
bestehe, daß sich infolge militärischer Erfolge die 
diplomatische Lage bessern würde. 
Fortdauer der Schwierigkeiten. 
Am 18. Dezember konnte die anberaumte 
Sitzung nicht stattfinden. Man meldete darüber: 
Die Friedensdelegierten kamen heute gar 
nicht in Kontakt miteinander, nicht einmal die 
Delegierten der Balkanstaaten. Konstantinopel 
und Athen haben die Entscheidung in den Hän 
den, und hier kann, so weit die Delegierten in 
Betracht kommen, nichts gemacht werden. 
Wohl aber ist es nicht ohne Bedeutung, 
daß heute mehrere Delegierte oder deren Se 
kretäre bei den Botschaftern in dem Auswärtigen 
Amte vorgesprochen haben. Dr. Danew, das 
Haupt der bulgarischen Deputation, wollte dies 
schon gestern tun, fand aber die Botschafter, 
die zu ihrer Äeunion in das Auswärtige Amt 
gefahren waren, nicht mehr vor. Mährend der 
gestrigen Tagung der Aeunion erschien Herr 
Miltschew, der Sekretär der bulgarischen Dele 
gation, im Ministerium des Äußern, angeblich 
bloß deshalb, um das Protokoll der Sitzung 
der Friedenskonferenz zu überreichen. Sowohl 
Herr Miltschew, sowie der andere Sekretär der 
bulgarischen Delegation, Herr Tschaparikow, 
gehören der Kabinettskanzlei König Ferdinands 
an. Auch heute kamen die Herren in das Aus 
wärtige Amt, während die Aeunion tagte. 
Die offizielle Behauptung, daß zwischen der 
Friedenskonferenz und der Botschafterreunion 
keinerlei Zusammenhang bestehe, ist natürlich 
nur im formalen Sinne richtig. Offiziell haben 
sie miteinander nichts zu tun, aber es wird doch 
niemand ernstlich glauben, daß beide Konfe 
renzen völlig unabhängig voneinander und an 
einander vorüber tagen können, wie etwa ein 
juristischer Kongreß und ein Kongreß für in 
terne Medizin, oder vergißt Sir Edward Grey, 
wenn er der Botschafterreunion präsidiert, daß 
er auch Ehrenpräsident der Friedenskonferenz 
ist und als solcher über ihre Verhandlungen auf 
dem Laufenden erhalten wird? 
Beträchtliche Unklarheit herrscht auch darüber, 
was man darunter zu verstehen hat, daß die 
Forderungen der Alliierten an die Türkei en 
bloc gestellt werden. Serben, Griechen und 
Montenegriner haben dafür eine einfache For 
mel. Sie sagen: zur Diskussion steht, soweit 
Territorialfragen in Betracht kommen, nur die 
Feststellung der türkisch-bulgarischen Grenze. 
Diese Formel bedeutet natürlich, daß die ganze 
europäische Türkei gegen Bulgarien abzugrenzen 
ist. Ast diese Abgrenzung erfolgt, so ist die 
Territorialfrage gegenüber der Türkei gelöst und 
alles andere Sache der Abmachung unter den 
Delegierten selbst unter Rücksichtnahme auf die 
Interessen der Großmächte. Eine türkisch-ser 
bische, türkisch - bulgarische, türkisch - griechische 
Frage gibt es nicht. 
Diese Formel, die Skutari und Zanina gar 
nicht, und Albanien nur in bezug auf Europa 
anerkennt, ist höchst einfach, stimmt aber nicht 
mit den Danew zugeschriebenen Äußerungen 
über das Konferenzprogramm überein und be 
deutet tatsächlich die Uberwälzung der Last und 
der ganzen Verantwortlichkeit für die diplo 
matischen Verhandlungen auf Bulgarien. Bei 
jedem Zoll Boden, den Bulgarien erlangt, 
würde die Türkei an das ganze verlorene euro 
päische Territorium zu denken haben, was 
kaum eine Kompromißstimmung erzeugen kann. 
Der einzige Vorteil für Bulgarien bestände 
darin, daß es sich bei jedem Zoll Boden, den 
es verlangt, auf die unbedingte Solidarität der 
Balkanliga berufen könnte. 
Griechenland erklärte übrigens durch den 
Mund des Herrn Venizelos, daß es unter den 
griechischen Inseln, die es auf Grund des 
Aechtes der Eroberung beansprucht, nicht nur 
die von ihm selbst, sondern auch die derzeit von 
Italien okkupierten Inseln versteht, weil, wenn 
Italien auf Grund seines Friedens mit der 
Türkei seine Besatzungen zurückzöge, diese In 
seln ohne Hindernisse der griechischen Okkupation 
anheimfallen würden. 
Auch die Frage einer finanziellen Entschä 
digung wurde bereits damals aufgeworfen. Man 
befürchtete, daß sie eine der Hauptschwierigkeiten 
bilden würde. Die Balkanstaaten würden sich 
ohne Entschädigung kaum zufrieden geben wol 
len, die finanzielle Erschöpfung der Türkei sei 
aber so groß, daß dem Lande neue Lasten un 
möglich aufgebürdet werden könnten. 
Auch am 19. Dezember mußte die Konfe 
renz, die um 4 Uhr nachmittags zusammen 
getreten war, nach einer Dauer von 50 Mi 
nuten resultatlos vertagt werden. Aus London 
wurde darüber berichtet: 
Heute fand unter dem Vorsitz Venizelos die 
dritte Sitzung der Friedenskonferenz statt. Das 
Protokoll der zweiten Sitzung wurde genehmigt. 
Vachdem hierauf der erste türkische Bevoll 
mächtigte, Äeschid Pascha, mitgeteilt hatte, daß 
ein Spezialkurier mit den erbetenen Instruk 
tionen von Konstantinopel abgegangen sei, ver 
tagte sich die Konferenz auf den 21. Dezember 
4 Uhr nachmittags. 
Man wartete also auf die türkischen In-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.