Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Kriedenskonferery. 
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Morgen wird sich der Kongreß zunächst zu 
konstituieren haben. Entgegen anderweitigen Be 
hauptungen ist nicht entschieden, wer Präsident 
wird; die Frage wurde heute überhaupt nicht 
angeschnitten. Auch die Frage, ob und in wel 
cher Form die uns beigegebenen Experten an 
unseren Beratungen teilnehmen werden, muß 
erst noch entschieden werden. 
Über die griechisch-türkische Meinungsdiffe 
renz ist nichts neues bekannt; jedenfalls waren 
die türkischen Herren, denen als Sekretär der 
Sohn des Ministers des Äußern, Roradunghian, 
beigegeben ist, heute in der Sitzung, und es 
liegt keinerlei amtliche Erklärung vor, daß sie 
mit Griechenland nicht verhandeln wollen, wenn 
dieses nicht den Waffenstillstand unterzeichnet. 
Die Behauptung, daß die Alliierten ihre 
Forderungen der Türkei en bloc präsentieren 
werden, ist, nach Äußerungen des bulgarischen 
Delegierten Dr. Danew zu schließen, nur in 
eingeschränktem Sinne richtig. Die Forderungen 
werden einzeln vorgebracht, und kommt es über 
die erste, welche die Frage der Gebietsabtretung 
betrifft, zu keiner Einigung, so bricht der Krieg 
wieder aus. 
Auch diese erste Frage scheint in selbstän 
dige Teile geteilt zu sein, die Bulgarien, Ser 
bien, Griechenland und Montenegro angehen. 
Als zweite Frage bezeichnet Dr. Danew 
Albanien, als dritte die der ägäischen Inseln, 
welche Kleinasien und den Dardanellen nahe 
liegen, als vierte die Kriegsentschädigung und 
Übernahme eines Teiles der türkischen Staats 
schuld. 
Was speziell die bulgarischen Territorial 
ansprüche inklusive Adrianopel anlangt, sagte 
Danew: 
Es ist im Interesse der Türkei, daß es ein 
großes Bulgarien mit natürlichen Grenzen gibt und 
daß die Türkei in Zukunft sich auf Bulgarien 
zur Verteidigung aller ihrer legitimen Interessen 
in Europa und in Asien verlassen kann. 
Dr. Danew betonte auch, daß die Alliierten 
wissen, daß sie nützliche und dauerhafte Arbeit 
nur leisten können, wenn sie auch die Interessen 
Europas berücksichtigen. Als solche Interessen 
bezeichnete er Albanien, die ägäischen Inseln 
und andere Fragen. Um diese Interessen kennen 
zu lernen, habe er es als seine Pflicht erachtet, 
die Hauptstädte Europas zu besuchen. 
Die Gerüchte über einen Anschluß Bul 
gariens an den Dreibund bezeichnete Danew 
als unrichtig. Die Bulgaren haben eine natio 
nale Aufgabe zu erfüllen und wissen, daß sie sie 
nur mit Hilfe der Mächte und mit steter Rück 
sichtnahme auf sie erfüllen können. Bulgarien 
will nicht Schwierigkeiten schaffen, die nur 
eine Gefahr für den eigenen Staat bedeuten 
würden. 
Schwierigkeiten. 
Die Konferenz hatte also begonnen, aber 
die Aussichten wurden schon damals in man 
chen Kreisen als nicht allzu günstig betrachtet. 
Rur glaubte man, daß die Botschafterreunion 
bei den Beratungen der Balkandelegierten in 
gewissem Sinne Vorspann leisten würde. Der 
erste Streitpunkt auf der Friedenskonferenz war 
die Frage der Zulassung der griechischen Dele 
gierten. Griechenland hatte bekanntlich den 
Waffenstillstand mit der Türkei nicht unter 
zeichnet, hatte aber trotzdem Delegierte nach 
London entsendet, und verlangt nun zu den 
Friedensverhandlungen zugelassen zu werden. 
Unterm 17. Dezember wurde aus London hier 
über gemeldet: 
Die türkisch-griechische Meinungsverschieden 
heit ist noch immer nicht gelöst, und es ist 
nicht richtig, daß aus der gestrigen Anwesenheit 
der türkischen Delegierten bei der rein formalen 
Eröffnungssitzung der Friedenskonferenz der 
Schluß gezogen werden kann, daß sie der Be 
teiligung der Griechen an der Konferenz ohne 
Unterzeichnung des Waffenstillstandes ausdrück 
lich oder stillschweigend zugestimmt haben. Die 
türkischen Delegierten sollen sogar erklärt haben, 
daß der Wortlaut ihrer Vollmacht es ihnen 
unmöglich mache, mit den Griechen zu ver 
handeln, wenn diese nicht den Waffenstillstand 
erst unterzeichnen. 
Vor dem Frühstück, das nach der Zusam 
menkunft der Friedensdelegierten im St. James- 
palast stattfand und bei dem die Delegierten an 
vier Tischen saßen, hatten die Führer der Mis 
sionen eine formlose Konferenz abgehalten. 
Unter den Fragen, die dabei zur Erörterung 
gelangten, wurde auch die Haltung besprochen, 
die von der Türkei den Griechen gegenüber 
eingenommen werden soll. Es ist Grund zu der 
Annahme vorhanden, daß die Schwierigkeit in 
diesem Punkte überwunden werden kann. Die 
Frage der Friedensbedingungen wurde nicht 
berührt und auch die offiziellen Vollmachten der 
Delegierten wurden noch nicht ausgetauscht. 
Uber die Schwierigkeiten, die sich schon in 
den ersten Sitzungen bemerkbar machten, wurde 
am zweiten Verhandlungstag, am 17. Dezem 
ber, aus London berichtet: 
Die Friedenskonferenz wird kein Reiten über 
ebenes Gelände fein; es drohen sogar bedeu 
tende Hindernisse. Heute mußte sie sich auf 
übermorgen vertagen, weil die Türken ohne 
weitere Instruktionen ihrer Regierung mit den 
Griechen nicht verhandeln zu können erklärten. 
Die Konferenz trat um 11 Uhr vormittags 
zusammen. 
Gemäß dem unter den Friedensdelegierten 
getroffenen Einvernehmen, wonach der Vorsitz
	        
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