54
Die Aufnahme des Programms für die Aeunion.
ein Entgegenkommen, das sich sogar so weit
erstreckt, das) selbst die Benützung eines dalma
tinischen Hafens für den serbischen Handel von
Österreich-Ungarn als diskutabel erklärt wurde.
Aach dieser Richtung werden also die serbischen
Wünsche bei Österreich-Ungarn nicht nur keinen
Widerstand, sondern sogar das weitestgehende
Entgegenkommen finden, ein Beweis dafür, wie
wenig berechtigt die von serbischer Seite immer
wieder erhobenen Vorwürfe sind, das) Österreich-
Ungarn Serbien wirtschaftlich erdrosseln und vom
Meere absperren will-
Die Teilnahme an der Reunion.
Man wartete also auf den Zusammentritt
der Botschafterreunion in London, von der man
sich für die Erhaltung des europäischen Friedens
Gutes versprach. Uber die Persönlichkeiten der
Teilnehmer an der Reunion wurde wenige Tage
vor dem Zusammentritt geschrieben:
Sir Edward Grey.
Der britische Minister des Äußern ist eine
scharf ausgeprägte, politisch außerordentlich mar
kante Persönlichkeit. Der knapp Fünfzigjährige
leitet seit dem Jahre 1905 die auswärtige
Politik Englands; er war, noch nicht IO Jahre
alt, bereits Unterstaatssekretär unter Gladstone
im Londoner Auswärtigen Amte. Sir Edward
Grey war einer der eifrigsten Initiatoren der
Tripelentente,- die Anregung zu der Botschafter
reunion ist von ihm ausgegangen und er wird
ihr auch präsidieren. Seine kühle, jeder gefühls
mäßigen Regung fremde Art hat der englischen
Politik der letzten Jahre ihren Stempel aus
gedrückt und wird voraussichtlich auch die un
verbindlichen Verhandlungen in starkem Maße
beeinflussen.
Botschafter Graf Mensdorff-Pouilly.
Als Vertreter Österreich-Ungarns wird der
Botschafter der Monarchie, Graf Mensdorff
fungieren. Graf Mensdorff, ein Mann von
kaum 50 Jahren, Sohn des bekannten ver
storbenen Ministers des Äußern und mit dem
englischen Königshause verwandt, ist 1906 nach
dem Abgang des Grafen Deym vom ersten
Botschaftsrat zum Botschafter vorgerückt. Seine
Beziehungen zum englischen Hof sind sehr eng;
er war viel mit König Eduard zusammen und
cum
befand sich erst dieser Tage mit dem Königs
paar beim Herzog von Portland.
Botschafter Fürst Lichnowsky.
Der deutsche Botschafter Fürst Lichnowsky,
der erst seit kurzer Zeit, seit dem überraschenden
Ableben des Freiherrn v. Marschall, das Deutsche
Reich in London vertritt, ist 5O Jahre alt, in
Österreich und Preußisch-Schlesien begütert, Mit
glied des preußischen Herrenhauses und persons
grate bei Kaiser Wilhelm. Er war viele Jahre
unter Eulenburg in Wien Botschaftsrat und besitzt
dort viele Freunde. Seine Beziehungen zur öster
reichischen Aristokratie sind sehr eng. Fürst Lich
nowsky hat seine Tätigkeit in London mit einer
bemerkenswerten Rede begonnen, in der er für
ein gutes Verhältnis zwischen den beiden Mächten
eintrat.
Botschafter Graf Benkendorff.
Der Vertreter Rußlands in London und
bei der Botschafterkonferenz ist Graf Benken
dorff. Der russische Diplomat, der ein Alter von
etwa 60 Jahren erreicht hat, ist ein Cousin des
Botschafters Fürsten Lichnowsky — ihre Mütter
waren Prinzessinnen Croy — und ein entfernter
Verwandter des österreichisch-ungarischen Bot
schafters Grafen Mensdorff. Er war lange Jahre
Botschafter in Wien und gilt als ruhiger, ziel
bewußter Diplomat.
Botschafter Marquis Imperiali.
Italiens Vertreter, Marquis Imperiali, war,
ehe er nach London kam, Botschafter in Kon
stantinopel. Er ist in London Rachfolger des
Marchese di San Giuliano, des heutigen Staats
sekretärs des Äußern, der von der britischen
Hauptstadt nach Paris ging. Man hält ihn für
einen sehr befähigten Diplomaten.
Botschafter Paul Eambon.
Der Vertreter der französischen Republik,
Paul Eambon, gilt nicht nur als einer der be
deutendsten französischen Diplomaten der Gegen
wart, sondern mit seinem Bruder, dem Berliner
Botschafter Jules Eambon, als einer der hervor
ragendsten ganz Europas. Er hat sehr wesent
lich an dem Zustandekommen der Tripelentente
mitgearbeitet. Er vertrat, ehe er nach London
gesandt wurde, die Republik in Washington.