Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Der neue türkisch-bulgarische Konflikt. 
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Die Partie in Konstantinopel war schon im 
voraus ungleich. Bulgarien befand sich in der 
schwierigen Lage, die Bedingungen der Türkei 
unter allen Umständen annehmen zu müssen, 
vorausgesetzt, daß sie irgendwie erträglich waren. 
Die türkischen Forderungen wurden unterstützt 
durch eine Armee von beinahe 300.000 Mann, 
denen Bulgarien unter den augenblicklichen Ver 
hältnissen kaum ein Regiment gegenüberstellen 
konnte. 
Vach mehreren inoffiziellen Konferenzen fand 
am S. September die erste offizielle Sitzung der 
türkisch-bulgarischen Friedenskonferenz statt. Die 
Verhandlungen hatten zunächst einen allgemeinen 
Charakter, die türkischen Delegierten machten 
keine Vorschläge betreffs der Grenzlinien und 
deuteten nur an, daß ihre Forderungen weit über 
die Zugeständnisse hinausgingen, welche Bul 
garien anzubieten geneigt war. 
Es folgte nun das gewöhnliche Handeln und 
Feilschen,- die Türken verlangten anfangs fast 
das ganze Thrazien zurück und die bulgarischen 
Delegierten wurden Zoll um Zoll zurückgedrängt, 
wo schlugen die türkischen Delegierten am 
10. September folgende Grenzlinie vor: Enos- 
Maritzalauf bis Keleti-Burgas, von hier west 
wärts bis zu einem Punkte bei der Ortschaft 
Samana östlich von Ortaköj, welches bulgarisch 
bleiben sollte, hierauf nordöstlich von Mustapha 
Pascha oder einen Punkt zwischen diesem und 
Kadiköj, schließlich fast gradlinig östlich bis zu 
einem noch unbestimmten Küstenpunkt, so daß 
Kirkkilisse türkisch, Malko-Tirnovo bulgarisch ge 
blieben wäre. Darnach hätten die Bulgaren 
nur einen schmalen Streifen an der Südgrenze 
und einen Korridor zum Agäischen Meer er 
halten. Daß die bulgarischen Delegierten daraus 
nicht eingehen konnten, ist natürlich. 
Am 12. September erteilten deshalb einige 
Botschafter der Pforte den Rat, sich bei den 
Verhandlungen mit Bulgarien etwas nachgiebiger 
zu zeigen. Denn schließlich war die Möglich 
keit nicht ganz von der Hand zu weisen, daß 
Bulgarien zur Verzweiflung getrieben, lieber 
das Äußerste auf sich nahm, als daß es sich 
solchen Bedingungen unterwarf, die ihm, im 
Hinblick auf die Abtretungen an Serbien, eine 
Verkleinerung des Territoriums im Vergleich 
mit dem Besitz vor dem Kriege gebracht hätten. 
Am schwierigsten war die Frage von West- 
thrazien. Mit der Abtretung von Adrianopel 
hatte sich Bulgarien bereits abgefunden. Daß 
die Großmächte gegen diesen Verzicht auf die 
unter so schweren Opfern erkämpfte Stadt keinen 
Einwand erheben würden, war bereits klar. Eine 
Mission von türkischen Bewohnern Adrianopels 
hatte die Hauptstädte Europas bereist, war 
von den leitenden Ministern empfangen worden 
und hatte Stimmung dafür gemacht, daß 
Adrianopel der Türkei verbleiben sollte. Daß 
man sich über die Grenzfrage schließlich 
einigen würde, stand fest. Aber was sollte aus 
Westthrazien werden, wenn die Unabhängig 
keitsbestrebungen, wie es den Anschein hatte, 
immer stärker hervortraten? Die bulgarischen 
Delegierten verlangten von der türkischen Re 
gierung in dieser schwierigen Angelegenheit die 
Vermittlung. Die Pforte hat in dieser Hin 
sicht in absoluter Ehrlichkeit gehandelt, hat die 
Delegierten der provisorischen Regierung emp 
fangen und ihnen erklärt, daß die Bewegung 
auf die Unterstützung der Türkei nicht rechnen 
könne. Sie hat jedoch versprochen, von den 
Bulgaren die denkbar günstigsten Bedingungen 
für die mohammedanische Bevölkerung West 
thraziens zu verlangen und dieses Versprechen ge 
halten. 
Am 17. September wurde die Grenzfrage 
zwischen der Türkei und Bulgarien erledigt. Rach 
den getroffenen Vereinbarungen beginnt die 
Grenze bei der Marihamündung und endet 
bei der Resvajamündung nördlich von Iniada, 
indem Dimotika, Adrianopel und Kirkkilisse 
der Türkei, Malko-Tirnovo, Mustapha Pascha 
und Ortaköj Bulgarien überlassen werden. 
Am iS. September wurde das Protokoll 
über die definitive Grenzlinie unterzeichnet und 
sodann die Frage der Rationalität, der musel 
manischen Gemeinden usw. erörtert. 
Hatte Bulgarien in der Grenzfrage der 
Türkei sehr weit nachgegeben, so waren die Be 
dingungen in den übrigen Fragen nicht minder 
drückend. Der leitende Gedanke war der, die 
türkische Bevölkerung in Westthrazien nicht nur 
gegen alle eventuellen Repressalien zu sichern, 
sondern ihnen auch so bedeutende staatliche Rechte 
zu verleihen, daß sie sich mit dem neuen Re 
gime so rasch als möglich abfinden konnten. Zu 
nächst mußte sich die bulgarische Regierung zu 
einer Amnestie für die Bewohner Westthraziens, 
die an der Unabhängigkeitsbewegung teilgenommen 
hatten, verpflichten. 
Der türkisch-bulgarische Friedensvertrag. 
Am 20. September wurde aus Konstantinopel 
der Inhalt des türkisch-bulgarischen Friedens 
vertrages gemeldet. In der halbamtlichen Kund 
gebung hieß es: Der türkisch-bulgarische Friedens- 
vertragbeginntmitdenWorten: »Beide Souveräne, 
in dem Wunsche, die Beziehungen auf dauer 
hafter und fester Grundlage wieder herzustellen..." 
In der Einleitung wird nicht, wie im Londoner 
Vertrag, von »ewiger" Freundschaft gesprochen. 
Artikel 1 setzt die bereits bekannte Grenze fest. 
Artikel 2 regelt die Rationalitätenfrage. Den 
Bewohnern der Bulgarien verbleibenden Gebiete 
wird eine Frist von vier Jahren gegeben, nach
	        
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