Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Epilog Dir Edward Greys jit den beiden Balkankriegen. 
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sierung der Friede anscheinend gesichert ist. Das 
ist jedenfalls eine Erleichterung. 
Die Besetzung Adrianopels durch die 
Türken. 
Run die Frage von Thrakien und Adria- 
nopel. Die Mächte haben in Konstantinopel 
eine Vorstellung gemacht, das), im großen und 
ganzen die im Londoner Vertrag festgesetzte 
Linie Enos—Midia respektiert werden sollte, 
das) sie aber, indem sie verlangen, das) die 
Türkei sie respektiere, gewillt sind, in Betracht 
zu ziehen, was die Türkei für die Verteidigung 
Konstantinopels und ihrer Grenze als unbedingt 
nötig erachten würde. Tüchtige Militärs äußern 
die Meinung, daß vom strategischen Standpunkt 
allein die Besetzung Adrianopels durch die Tür 
kei ein großer Fehler wäre. Ich gebe zu und 
ich glaube, alle Mächte geben es zu, daß der 
Zweck des Londoner Vertrages war, den Türken 
eine gute Grenze zu geben, durch die sie Kon 
stantinopel verteidigen könnten. Eine gute Grenze 
kann auf den Linien des Londoner Vertrages 
gegeben werden, aber die Zurückbehaltung von 
Thrakien und Adrianopel würde, nach beachtens 
werter Meinung, eine besondere Last für die 
Türkei in Friedenszeiten und eine positive 
Schwäche für die Türkei in Kriegszeiten sein. 
Die Großmächte haben ein Recht, zu erwarten, 
daß ihr Rat und ihre Wünsche in dieser Frage 
beachtet werden. Die Enos — Midiagrenze 
hätte nie bestanden, wenn man nicht gewußt 
hätte, daß eine oder die andere der Großmächte 
interveniert hätte, falls die Konstantinopler 
Frage oder die Meerengenfrage während des 
Krieges zwischen der Türkei und den Balkan 
staaten aufgeworfen worden wäre; d. h.: hätten 
die Balkanverbündeten ihren Erfolg an einem 
Punkt so weit getrieben, daß sie nicht die Frage 
der Enos—Midialinie, sondern die Konstanti 
nopelfrage aufgeworfen hätten, so hätte eine 
Intervention einer oder der anderen Großmacht 
erfolgen können; d. h.: wäre nicht die Tatsache 
gewesen, daß die Großmächte an dieser Frage 
ein Interesse hatten, so wäre die Abmachung 
über die türkische Grenze nicht einmal so günstig 
für die Türkei gewesen wie die Enos—Midia 
linie? Wenn es direkt oder indirekt dem Ein 
fluß der Großmächte zu danken ist, daß der 
Londoner Vertrag nicht über die Enos—Midia- 
linie hinausgegangen ist, so haben die Groß 
mächte das Recht, in Konstantinopel ihre 
Wünsche bekannt zu geben und ihren Rat zu 
erteilen, wenn die Regelung der türkischen Grenze 
in Frage kommt. 
Unsere Politik gegenüber der Türkei, die, 
wie ich dem Hause früher gekennzeichnet habe, 
auf die Konsolidierung und Sicherung der tür 
kischen Autorität und der türkischen Integrität 
in ihren asiatischen Besitzungen und in dem 
ihr hinter der Enos—Midialinie belassenen Ge 
biete hinzielt, eine Politik, die von Reformen 
der asiatischen Türkei abhängt, von gesunden 
Finanzen abhängt, wenn sie erfolgreich sein soll, 
von der Herstellung von Gerechtigkeit, Ordnung 
und guter Regierung in den türkischen Be 
sitzungen die wahre Gefahr für die Türkei 
kommt nicht von den äußeren Angriffen, son 
dern von innerer Unordnung und innerer Schwäche 
— diese Politik, die wir zu verfolgen wünschen, 
ist eine, deren Erfolg von der Zustimmung und 
dem guten Willen der anderen europäischen 
Mächte abhängt. Es ist müßig, vorauszusehen, 
daß wir allein, indem wir der Türkei britische 
Offiziere beistellen oder ihr Unterstützung leihen, 
dieser Politik einen Erfolg verschaffen könnten. 
Die asiatische Türkei interessiert so viele Mächte 
und interessiert sie in so bedeutender Weise, daß, 
was immer dort getan wird, mit der Zustim 
mung aller getan werden muß. Wir haben 
unsere Meinung in bezug auf die Unterstützung 
ausgesprochen, die der Türkei in der Form eines 
gesunden Finanzwesens gegeben werden sollte, 
indem wir immer der Meinung waren, daß der 
Türkei infolge dieses Krieges nicht eine Kriegs 
entschädigung aufgeladen werden sollte, die ihre 
Finanzen erdrücken und die Wiederherstellung 
ihrer Autorität schwierig oder unmöglich machen 
würde. Es liegt uns sehr viel daran, daß sic 
eine gute strategische Grenze für Konstantinopel 
erhalte. 
Unsere Politik gegenüber der Türkei, dies 
glauben wir, ist die richtige Politik und das 
richtige Interesse der Türkei, aber sie erfordert 
den guten Willen aller Mächte. Dieser gute 
Wille kann nur erhalten werden, wenn der Rat 
der Mächte in bezug auf Adrianopel und Thrazien 
mit Respekt aufgenommen wird. Es ist nicht 
unsere Sache, die Sprache der Drohungen an 
zuwenden, wenn wir nicht selbst Iwangsmaßregeln 
in Betracht ziehen und ich führe eine solche Sprache 
nicht. Aber wenn die Türkei den Rat der Mächte 
nicht annimmt, wird sie von Beginn an jede 
Politik, die auf deren guten Willen gebaut ist, 
paralysieren und früher oder später, sei es durch 
finanzielle Rot oder durch bewaffnetes Eingreifen 
einer oder mehrerer der Mächte, dazu gezwungen 
werden; die Mißachtung des Rates, betreffend 
Adrianopel, dessen bin ich sicher, würde über 
die türkische Regierung verhängnisvolle Kon 
sequenzen bringen, gegen die wir sie nicht schützen 
können. Ich glaube, es wäre ein höchst ver 
hängnisvoller Fehler, wenn die Türkei in dieser 
Sache den Rat der Mächte nicht annehmen 
würde. Ich glaube tatsächlich zu wissen, daß, 
wenn sie den Rat der Mächte anzunehmen bereit 
ist, sie ihrerseits bereit sein werden, ihr einen zu- 
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