Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Epilog Sir Edward Greys M den beiden Lalkankriegen. 
60) 
□□ 
Wenn auch nur eine dieser Inseln in den 
Besitz einer Großmacht übergeht, so müssen not 
gedrungen sehr schwierige Fragen von äußerster 
Wichtigkeit entstehen. 
Die Großmächte empfinden dies selbst und 
stellten gleich zu Anfang der Konferenz eine 
Regel der Selbstverleugnung auf, nach der sie 
gegenseitig das Versprechen tauschten, daß keine 
unter ihnen Vorteil aus dem Balkankonflikt 
flehen und Bodenbesitz für sich verlangen würde. 
Wir achteten besonders streng darauf, daß dieses 
Versprechen für die Agäischen Inseln Geltung 
haben sollte, und schenken dieser Sache auch 
heute noch unsere volle Aufmerksamkeit. 
Die Frage der Agäischen Inseln ist deshalb 
eine kompliflerte, weil betreffs derselben ein be 
sonderer, in Lausanne abgeschlossener Vertrag 
Mischen Italien und der Türkei besteht, nach 
welchem zurzeit Italien im vorübergehenden Be 
sitz einiger dieser Inseln ist, und Mar noch so 
lange, bis die Türkei die Bedingungen des 
Vertrages von Lausanne erfüllt und alle türki 
schen Offiziere und Truppen zurückgezogen hat. 
Der Vertrag berührt natürlich nur Italien und 
die Türkei, und die Großmächte konnten be 
treffs desselben keine Verfügung treffen. Das 
Übereinkommen betreffs der Agäischen Inseln 
stellt fest: das Schicksal dieser sämtlichen Inseln, 
einschließlich jener, welche sich vorübergehend in 
italienischen Besitz befinden, ist eine Frage, 
welche alle Großmächte angeht und muß even 
tuell von ihnen gemeinsam entschieden werden. 
Jedenfalls darf keine Großmacht eine dieser 
Inseln für sich in Anspruch nehmen. 
So lange alle Bedingungen des Lausanner 
Vertrages nicht durchgeführt sind, kann die 
Frage der von Italien okkupierten Inseln nicht 
endgiltig geregelt werden und es entsteht die 
neue Frage: was geschieht, wenn die Türkei 
die Bedingungen des Lausanner Vertrages be 
treffs der Cyrenaika verzögert oder überhaupt 
nicht erfüllt und die italienische Okkupation der 
Inseln auf unbestimmte Zeit fortdauert? Italien 
hat uns keinen Augenblick im Zweifel gelassen, 
daß es seinen Verpflichtungen im Lausanner 
Vertrag folgt und ganz nachkommen und die 
Inseln räumen wird, wenn die Türkei ihr Ver 
sprechen eingelöst hat. Wir sind von seiner 
Ehrenhaftigkeit und seinem guten Willen über 
zeugt und haben keinen Augenblick daran ge- 
Meifelt. Wir wissen, daß es einen Druck auf 
die Türkei ausübt, damit diese ihren Teil des 
Vertrages ausführt, wir brauchen uns also 
nicht darüber zu beunruhigen was geschehen 
würde, wenn die Türkei den gegenwärtigen Zu 
stand in die Länge fleht. Worauf es ankommt, 
ist, daß das Prinzip zur Geltung kommt: das 
Schicksal der Agäischen Inseln ist Sache aller 
Großmächte, und keine einzelne darf auch nur 
Balkcinkrieg. II. 
eine einflge Insel für sich beanspruchen. Daß 
Italien keinen Vorteil aus dem Vertrag von 
Lausanne flehen will, der vor dem Balkankrieg 
abgeschlossen wurde, beweist uns, daß Italien 
in dieser wichtigen Angelegenheit mit allen 
Großmächten eines Sinnes ist und seine 
freundlichen Dispositionen in loyalster Weise 
gezeigt hat. 
Die Bedeutung der Botschafterreunion. 
Wan sollte sich, glaube ich, vorhalten, daß 
die Zusammenkünfte der Botschafter nicht wirklich 
Zusammenkünfte von Bevollmächtigten gewesen 
sind. Wir sind öfters getadelt worden, daß wir 
nicht diesen oder jenen Gegenstand erledigt 
haben. Es war nicht Sache der Botschafter, 
Fragen zu regeln. Ich persönlich gehe natürlich 
als Bevollmächtigter in einer Stellung hin, in 
der ich die Zustimmung der britischen Regie 
rung, wenn sie erforderlich ist, geben kann; aber 
die Botschafter selbst sind nicht bevollmächtigt, 
sie sind nur gewöhnliche Botschafter, die nach 
der Weisung ihrer Regierungen handeln. Der 
Botschafterreunion wurden Gegenstände zur Dis 
kussion überwiesen, aber es war nicht Sache 
der Botschafter, die Fragen in den Zusammen 
künften kurzer Hand M erledigen. Was sie er 
örterten oder empfahlen, mußte den betreffenden 
Regierungen M Regelung übergeben werden. 
Wenn ich auf die letzten Monate Mückblicke, 
auf gewisse Episoden mit Bezug auf die Grenze 
von Albanien und die Ängstlichkeit und Span 
nung, die in bezug auf den Weg eintraten, auf 
dem schwierige Punkte, die zu überwinden waren, 
in verhältnismäßig beschränkter Zeit nach ein 
ander überwunden wurden, so glaube ich, sagen 
zu können, daß die Botschafterzusammenkünfte 
im Hinblicke auf die Beziehungen der Groß 
mächte zueinander zeitweise sehr nützlich waren. 
Ohne die Erleichterung, welche die Botschafter 
zusammenkünfte boten, wären gewisse Verständi 
gungen, die über strittige Punkte erzielt wurden, 
entweder gar nicht oder nicht rechtzeitig erzielt 
worden. Die Erleichterung einer Diskussion zwi 
schen den Großmächten hat noch eine andere 
Seite. In Zeiten von Krisen, und wenn Eile 
dringend not tat, ist sie sehr nützlich gewesen, 
aber weiterhin kann der Umstand selbst, daß bei 
einer solchen Zusammenkunft mit Leichtigkeit 
Punkte aufgeworfen und diskutiert werden können, 
die Zahl der aufgeworfenen Fragen vermehren. 
Wenn die Lage sehr ernst ist, ordnet jeder die 
Punkte von geringerer Bedeutung der Bespre 
chung von Punkten größerer Dringlichkeit unter 
und wenn die Lage weniger ernst wird, erzeugt 
gerade die Möglichkeit, jeden Augenblick eine 
Frage zur Diskussion bringen zu können, die 
Tendenz, die Zahl der Fragen zu vermehren. 
76
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.