Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Schrecken des zweiten Krieges. 
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Stadt her dröhnten Kanonenschüsse und Ge 
wehrfeuer. Dann brachte man einige Offiziere, 
die schon im Laufe des Nachmittags einzeln auf 
der Straße gefangen genommen worden waren. 
Man hatte ihnen Uhren und Geld abgenommen. 
Wir dachten unserer Soldaten, die sich in ihren 
kleinen Kasernen gegen die griechische Übermacht 
wehrten. Um 2 Uhr nachts brachte man uns 
unter Bedeckung von etwa JOO Mann an den 
Hafen. Kanonenschüsse und Gewehrfeuer rollten 
weiter, unsere braven Burschen hielten sich noch. 
Wir waren einige Offiziere und wenige Sol 
daten, die man einzeln aufgegriffen hatte. Man 
brachte uns an Bord der „Marietta Ralli", 
eines griechischen Dampfers. Den Rest der 
Rächt bis ?um Morgen hörten wir den Ge 
fechtslärm aus der Stadt. Früh morgens gegen 
8 Uhr wurde es still. Wir sahen von der bul 
garischen Kirche unsere Farben sinken, dann 
stieg an ihrer Stelle die griechische Fahne auf. 
Ein schwerer Tag lag hinter uns, ein neuer 
schwerer Tag begann. 
Rls die „Marietta Ralli" am Rbend des 
1. Juli aus dem Salonikier Hafen auslief, 
waren wir 24 Offiziere und Beamte an Bord 
mit etwa 900 Soldaten des Bataillons, alle 
zusammengedrängt, die Offiziere von der Mann 
schaft getrennt. Griechische Soldaten mit gela 
denen Gewehren standen umher, wir hörten ihre 
rohen Späße. Wir hörten auch die leisen Klagen 
unserer Verwundeten, deren sich niemand an 
nahm. Ich erlangte schließlich am dritten Tage 
der Fahrt die Erlaubnis, nach ihnen zu sehen, 
aber es gab kein Verbandzeug und so stand ich 
machtlos neben den Leidenden, die ich mit un 
seren reinen Taschentüchern, so weit sie reichten, 
verbunden hatte. Wir hörten auch die Rufe der 
Soldaten, die von den griechischen Wächtern 
erschlagen wurden; so wurde ein Feldwebel, ein 
tapferer Mann, den alle Bulgaren liebten, er 
schlagen, und außer ihm 20 Soldaten. Warum? 
Es ist schwer }ü glauben, daß sie sich an Bord 
gegen ihre Wächter erhoben hätten; wir haben 
davon nichts bemerkt. 
Der Kommandeur des Bataillons, Major 
Lasarow, befand sich bei uns. Er erzählte, daß 
man ihm bei der erzwungenen Übergabe der 
Reste der Garnison zugesichert habe, die Offi 
ziere würden ihre Säbel und ihre Gepäck be 
halten. Man habe aber den meisten sogar das 
Geld aus der Tasche gerissen. 6000 Francs, die 
dem Bataillon gehörten, wurden vor der Über 
gabe an die Offiziere und Mannschaften ver 
teilt. Wenige Offiziere konnten etwas davon 
retten. Mehrere hatten keinen Pfennig und die 
anderen halfen ihnen mit einigen Franken. Man 
hatte auch den Vertreter des Exarchats in Sa 
loniki, den Rrchimandriten, Cvlogi, an Bord 
gebracht, aber schon nach einer halben Stunde 
holte man ihn ab und sperrte ihn auf einen 
anderen Dampfer, die „Katerina", die unge 
fähr gleichzeitig mit der „Marietta" den Hafen 
verließ. Rn Bord waren 300 Soldaten der 
bulgarischen Garnison von Saloniki. Die 
„Katerina" ging nach Theaki, dem Ithaka des 
Odysseus. Die Griechen erzählen, daß der 
Rrchimandrit unterwegs den Verstand verloren 
habe und ins Meer gefallen sei; Bulgaren an 
Bord wollen gesehen haben, daß man ihn ins 
Meer gestürzt und dann noch auf ihn geschossen 
habe. Sein Sekretär ist in der Gefangenschaft 
gestorben. Der Diakon soll den Verstand ver 
loren haben und auf der Teuselsinsel Trikeri 
am Eingang in die Bucht von Volo sein. Ich 
höre, daß die bulgarische Regierung eine be 
sondere Untersuchung über die Behandlung dieser 
Beamten des Exarchats befohlen hat. 
Unter den Offizieren befand sich auch der 
Hauptmann Rndreadis, ein Grieche aus Varna. 
Er befehligte eine Kompagnie des Bataillons; 
obwohl griechischer Abstammung, hat er stets 
seine Pflicht als bulgarischer Offizier erfüllt. Iu 
der Überfahrt nach dem Piräus gebrauchte unser 
Schiff 5 Tage, während man sonst in weniger 
als einem Tag dorthin gelangen kann. Endlich 
sahen wir von fern die klassischen Linien der 
Heimat der alten Hellenen und bald darauf 
waren wir unfreiwillige Gäste der neuen 
Hellenen. 
Ruf der „Marietta" war ein Bulgar durch 
einen Bajonettstich am Unterleib verletzt wor 
den. Infolge der Entzündung stellten sich Er 
scheinungen ein, die der griechische Ouarantäne- 
arzt für typhusverdächtig erklärte. Die Folge 
war, daß wir 5 Tage im Piräus beobachtet 
wurdcn. Von den Mannschaften wurden wir 
hier ganz getrennt. Johlendes Gesindel, gut 
und schlecht gekleidet, umgab uns, als man uns 
ans Land brachte. Rn den Galgen 1 schrien 
Frauen, man spie uns an, bewarf uns mit 
Steinen und Kot. So zogen wir durch die 
Straßen des Piräus bis zu einer Schule, die 
uns als Gefängnis angewiesen war. Die 
24 Offiziere und Beamten wurden in ein halb 
dunkles Zimmer gesperrt. Es gab weder Ma 
tratzen, noch Decken, noch Pritschen; wir lagen 
auf den Dielen des Bodens. Erbärmliches 
Essen. Täglich 1 Stunde in einem Hof. Wir 
waren alle kräftige, gesunde Männer, sonst 
hätten wir uns schwere Krankheiten geholt. Rm 
6. Tage führte man uns davon; es gab wieder 
ein Volksfest im Piräus, als wir durch die 
schmutzigen Straßen der Stadt zum Bahnhof 
geführt wurden. 
Rach dem, was wir erlebt, waren wir nicht 
erstaunt, in Rauplia, wo man unsere Rnkunft 
erwartete, einen Haufen Menschen zu finden, 
der uns bewillkommnete, wie es die Rthener
	        
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