Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Echrecken des zweiten Krieges. 
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den Gefangenen, drei Gruppen mu bilden, Frauen, 
Kinder und Männer für sich, wobei er erklärte, 
daß einige der Männer gleich hingerichtet werden 
sollten, die Frauen und Kinder müßten Zusehen. 
Der Lehrer beschloß, die Mut der Bulgaren mu 
entfachen, um wenigstens statt qualvoller Mar 
tern einen raschen Tod mu finden. Er warf sich 
M»m Wortführer der Gefangenen auf. „Wir 
trennen uns nicht, wir sterben alle oder keiner. 
Die Griechen sind euch auf den Fersen, sie 
werden uns rächen; und Österreich wird Genug 
tuung für die Ermordung seines Konsuls fordern." 
Ms er sah, daß die Worte im Augenblick Ein 
druck M machen schienen, kam ihm plötzlich der 
Einfall, er übernahm die Rolle eines Sehers, 
um den Aberglauben der Bulgaren mu wecken. 
„Die da sterben," rief er, „erblicken Gesichte. 
Gott den Allmächtigen sehe ich mit brennender 
Fackel vom Himmel herabsteigen; er fleht nach 
Rorden hin über die Berge. Er hält und setzt 
ein Haus in Flammen. Dein Haus ist es," 
rief der Lehrer mit voller Stimme ?u dem bul 
garischen Sergeanten gewandt, „eine Frau höre 
ich weinen, ich sehe Kinderhände im Todes 
kampf sich ringen. Deine Kinder sind es; mein 
ist die Rache, sagt der Herr." Und so fuhr er 
fort. Der Aberglaube war erweckt, man sah die 
Soldaten flüsternde Gruppen bilden, hastig ließ 
der Lehrer unter den 200 Gefangenen alles 
Geld und alle Schmucksachen sammeln, und 
indem er diese dürftigen Schätze den Soldaten 
in die Hand drückte, rief er: „Mit diesem hier 
und mit unserem Leben hier könnt ihr euch 
Vergebung erkaufen." Es gelang, zögernd ließ 
man die Gefangenen frei und so rettete der 
Appell an den Aberglauben 200 Menschen das 
Leben, denen das Schicksal gewinkt hatte, das 
gräßlichste Los ihrer Rachbarn mu teilen. 
Aber wie viele sind nicht gerettet worden? 
Kurme Telegramme aus Saloniki hatten von 
dem grauenvollen Schicksal berichtet, das bul 
garische Truppen der aufblühenden kleinen Stadt 
Rigrita bereiteten: alle vor dem Einrücken der 
Bulgaren nicht geflüchteten Einwohner der Stadt 
sollen niedergemetzelt worden sein. Da die Rach- 
richten aus griechischer Quelle stammten, maß 
man ihnen nur eine bedingte Glaubwürdigkeit 
bei. Die Berichte unparteiischer Augenzeugen, 
die jetzt bekannt werden, übertreffen aber die 
schlimmsten Vorstellungen und geben ein er 
schütterndes Bild von dem Schicksal, das dieser 
7000 Einwohner zählenden Stadt bereitet worden 
ist. König Konstantin von Griechenland rief den 
Kriegskorrespondenten des „Daily Telegraph", 
Albert Trapman und den Korrespondenten des 
„Temps", de Ieffen, telegraphisch an die Un 
glücksstätte, damit die fremden Berichterstatter, 
sich persönlich von dem Stand der Dinge über 
zeugen könnten. 
Bei ihrem Vormarsch hatte die griechische 
Armee nur einen leichenbesäten Trümmerhaufen 
vorgefunden. Im „Temps" schilderte de Hessen 
seine Eindrücke.Vor der Ankunft in Rigrita mußten 
die Korrespondenten das letzte Schlachtfeld durch 
queren. Bei ihrer Flucht haben die Bulgaren 
ihre Toten murückgelaffen. Überall liegen noch 
die Leichen umher, die mu bestatten die Griechen 
noch keine Zeit fanden; unter der glühenden 
Sonne schreitet die Verwesung schnell fort. Auf 
Schritt und Tritt stößt man auf fortgeworfene 
Gegenstände, leere Patronentaschen, bulgarische 
Mützen, Tornister, blutige Kleidungsstücke, )er- 
brochene Waffen, abgerissene Epauletten. Der 
schwache Rordwind trägt eine Luft herbei, deren 
widerliche Gerüche alles verpesten und von weit 
her die Krähen und Raben heranlocken. Rach 
)7s Stunden taucht in der Ferne Rigrita auf. 
Am Mittwoch war es noch eine Stadt, in der 
Leben und Arbeit war. „Gestern," berichtet 
de Jessen, „war es nur noch ein Scheiter 
haufen, auf dem Menschenleiber die Trümmer 
und Aschenreste bedecken. Von 1450 Häusern 
stehen nur noch 49, auf der Straße schreitet 
man über vom Feuer geschwärmte Steine, die 
noch heiß sind, die Luft ist von dem Verwesungs 
hauch halbverbrannter Menschen- und Tierleichen 
verpestet und in den Gärten ist das Laub der 
Bäume verbrannt oder geschwärmt." 
Unter der Führung des Bürgermeisters unter 
nahmen die Korrespondenten einen Rundgang 
durch die Ruinen der Stadt. Die griechischen 
Truppen haben nach ihrem Einmug sofort da 
mit begonnen, die Leichen aus den Trümmern 
MU miehen und )u bestatten, was in Anbetracht 
der großen Hitze geboten war; aber die Zahl 
der Toten war so groß, daß am Samstag das 
Werk noch nicht M Ende geführt werden konnte. 
Und so liegen noch Leichen umher; die Leichen 
von Greisen, um deren blutbedeckte Körper die 
Mücken summen, junge, kräftige Leute mit ver 
merkten Gesichtsmügen und vermweifelt ineinander 
gekrampften Händen. Der Bürgermeister schätzt, 
daß wenigstens 470 Bewohner in den Flammen 
den Tod gefunden haben. Und mu ihnen kommen 
noch die Verwundeten, die an Körper und Seele 
Verwundeten. Vor ihren Kindern wurden die 
Frauen mißhandelt; Kinder wurden erdrosselt, 
Greise niedergeschlagen. 
Man forderte uns auf, die Opfer selbst mu 
befragen, aber das geht über unsere Kraft, wir 
haben genug gesehen, um mu wissen, daß diese 
vor 3 Tagen noch blühende Stadt die Stadt 
des Leidens geworden ist, Dantes „Otts 60- 
lente" . . . 
Uber bulgarische Greueltaten lausen auch 
aus anderen Gebieten immer neue Berichte ein.
	        
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