Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Schrecken des Metten Krieges. 
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druck mit seinen leeren, schwarten Öffnungen. 
Hin und wieder sieht man dann auf Straßen 
und Feldern Frauen, Kinder und Bauern, die 
umherirren und die Stätte suchen, die einst ihr 
Heim war. Der Anblick dieser Leute ist er 
schütternd, sie irren über die Felder und völlig 
ratlos beginnen sie schließlich mechanisch irgend 
etwas M tun, mähen Gras für Haustiere, die 
nicht mehr da sind, oder stehen vor leer ge 
brannten Häusern und schweigen. 
Sein Weg führte Larco dann über das ver 
lassene Schlachtfeld von Kilkisch: eine einzige 
weite Stätte des Grauens. Roch sieht man 
Mischen Feldern und Wiesen die schwarten 
Streifen aufgeworfener Erdhügel: die Schützen 
gräben und Verschanzungen. Im weiten Um 
kreise ist die Erde zerfetzt und von Granaten 
aufgerissen, die Geschosse haben Hügel getürmt 
und Gruben gegraben, wie erloschene Krater 
anzuschauen. Und über all dem ein wirres bun 
tes Chaos von unzähligen Gegenständen, ein 
wahrer Basar des Todes. Was Menschen 
tragen und gebrauchen, alles findet man hier, 
Papierfetzen und Rotizbücher, Hemden, Klei 
dungsstücke, Uniformabzeichen, Säckel, Flaschen, 
Töpfe, Kissen und Tücher, ja sogar Spielkarten. 
Und Mischen all dem liegt noch der Same, der 
diese trostlose Ernte reifen ließ, Geschosse und 
Geschoßsplitter. Die Richtung des Rückzuges, 
der Weg der Flucht, hebt sich deutlich ab: er 
ist vom Schuhwerk besät, von Stiefeln und 
Strümpfen, die die Flüchtenden abstreiften und 
liegen ließen. Aber das Bild der Verwüstung 
endet nicht mit dem Schlachtfelde, es setzt sich 
fort nach allen Seiten. Stundenlang kann man 
der Rückzugslinie folgen: und überall stößt man 
auf menschenleere, niedergebrannte Dörfer, selbst 
Felder und Bäume wurden den Flammen aus 
geliefert. Und das setzt sich fort, Meile um Meile, 
Landschaft um Landschaft, bis hinauf gegen 
Strumitza. 
Hier, in dem weißen Städtchen mit den 
roten Dächern suchen die Flüchtenden Asyl, 
Frauen, Kinder und Greise mit kleinen Hand 
karren oder Eseln, und man scheut sich, diesen 
jetzt heimatlos und besitzlos gewordenen Men 
schen ins Auge zu schauen, denn auf allen 
Mienen liegt der gleiche Ausdruck dumpfer, 
trostloser VerMeiflung, von der der Fremde 
weiß, er kann sie nicht lindern. 
* , * 
* 
Von einem Besuch auf einem der großen 
Schlachtfelder entwirft der englische Korrespon 
dent Valentine Williams in der „Daily Mail" 
eine anschauliche Schilderung: 
Ein paar Schritte abseits von dem rauhen 
Pfade, der in unregelmäßigen Windungen über 
den langen steilen Hang emporklettert, durch 
brach ein länglicher dunkler Fleck die Eintönig 
keit des dürftigen gelben Grases. Als ich näher 
herantrat, sah ich, daß die Erde aufgewühlt 
worden war. Große Schollen schwarzer Erde 
waren M einem kleinen Hügel geschichtet. An 
einem Ende ragte ein aus alten Kistenbrettern 
rohgezimmertes Kreuz aus dem Boden. Mit 
Bleistift waren 2 Buchstaben auf das Höh ge 
malt, 2 Buchstaben mit einer römischen Ziffer. 
Dicht dabei lag auf der Erde eine verschossene, 
farblose Khakimütze auf einem gelblichen Pa 
tronengurt. Und nun wußte ich, daß ich das 
Schlachtfeld betreten hatte. Von der kleinen 
Mauer neben einem Brunnen hatte ich auf die 
Stellung von Dreienk hinübergeblickt. Von dort 
aus hatten in jener Rächt des 2y. Juni die 
Bulgaren das vorgeschobene serbische Bataillon 
überfallen und zurückgetrieben. Und einen Tag 
später, am 1. Juli, hatte diese Landschaft des 
gelben Grases und der rötlich schimmernden 
Steinkuppen das Ringen der Serben und Bul 
garen erlebt, das mit der Zurückwerfung der 
Bulgaren enden sollte. Wie ich jetzt, in der 
flammenden Hitze, hier stehe, liegt über dem 
Bilde nur Frieden. Vögel singen, aus den 
Häusern dort unten am Hange steigen leichte, 
blaue Rauchwolken, am Tore einer Hütte steht 
eine Frau, ein schmutziges, goldblondes Kind 
auf den Armen, und plaudert mit einigen Och 
sentreibern. In den Korn- und Maisfeldern, die 
die Truppen und Pferde auf ihrem Zuge ver 
wüsteten, walten jetzt Frauen und Kinder und 
mähen die Ernte mit blitzenden Sicheln. Rir- 
gends ist ein Mann zu sehen; denn die jungen 
Männer sind beim Heere, die alten beim Train. 
Was ich vor mir sah, mochte an ein sommer 
liches Manöverfeld gemahnen, nie aber an den 
Schauplatz einer beispiellos blutigen Schlacht. 
Aber wenn man weiter geht und der Linie 
des serbischen Angriffes folgt, beginnen in der 
Mittagshitze die Spuren des menschenmorden 
den Ringens zu sprechen. Die Angriffslinie ist 
durch flache, hastig aufgeworfene Gräben be 
zeichnet. Die meisten Ausrüstungsgegenstände 
haben die Bauern bereits aufgelesen, aber ge 
nug ist noch übrig geblieben, um davon zu er 
zählen, daß hier Tausende und Abertausende 
starben. Reben zerstörten Ausrüstungsgegenstän 
den liegen überall Papiere umher, Rothen, 
Listen und Privatbriefe. Einige lasse ich mir 
entziffern. Da war ein schmutziger, vergilbter Brief 
im Felde, ein langer, liebevoller Brief eines 
bulgarischen Vaters an seinen Sohn Slavko. 
Er etzählt von daheim, spricht vom Frieden mit 
der Türkei, spricht von der Heimkehr seines 
Sohnes, von der Ernte, die eingebracht werden 
solle. Aber Slavko wird nicht heimkehren; am 
Rande des Kornfeldes ist ein großes Massen 
grab aufgetürmt, und Slavko mag das Schick-
	        
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