Die Schrecken des zweiten Krieges.
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auf die lauten Ratschläge der Mächte nicht; die
paar Hunderttausend Mann ihrer Heere, die
arbeiteten, waren stärker, als die Millionen der
Heere der Großstaaten, die nicht arbeiteten. Der
Krieg ging weiter, die Geister, die gerufen waren,
ließen sich nicht mehr bannen. Und auch wäh
rend des Krieges leuchtete mit stechender Flamme
über Bulgarien der Unstern. MitUmsicht gingen die
Griechen vor und warfen die geringen bulgarischen
Kräfte zurück. Zu dieser Zeit war die bei Widdin
stehende 1. bulgarische Armee unter General
Kutintschew in Serbien eingedrungen, sie hatte
Knjazevac genommen und drohte, die rückwärti
gen Verbindungen der Serben zu unterbrechen,
näherte sich Risch und Bela palanka. Kräftig
verfolgt, hätte dieser Plan gelingen können.
Abermals griff eine politische Erwägung störend
ein: Rußland wünschte nicht, daß auf altserbi-
schem Boden Krieg geführt würde. Aus dem
selben Grunde wurde die Beschießung von pirot
eingestellt, die auf Befehl des Kommandeurs
der 3. bulgarischen Armee, General petrow,
begonnen hatte. Ohne solche Hindernisse hätten
beide Armeen nach Süden einschwenken und im
Tal der Morava gegen Vranja-Kumanovo vor
gehen und die Entscheidung zugunsten Bulgariens
bringen sollen. Die 3. Armee war dabei als
Vorhut der ersten gedacht. Unter solchen Um
ständen wäre in jedem Heere Verwirrung ent
standen; es fehlte an einem klaren Ziel, alles
wankte und schwankte und dabei gingen manche
herrliche Soldatentugenden der Bulgaren ver
loren.
Der Einbruch und die unblutigen Siege der
kriegerischen Rumänen vervollständigten Bul-
'gariens Medergang. Vielleicht wird nach 0af>c=
hunderten noch der Professor der Geschichte
seinen Hörern an dem klassischen Bulgarien
leigen, wie die besten Erfolge des Soldaten
durch eine unvorsichtige Diplomatie vernichtet
werden können. Das hat sich freilich in der
dann weit zurückliegenden Zeit der Völkerkriege
und der Barbarei des 20. Jahrhunderts zuge-
tragen. . .
Es ist nicht notwendig, den Betrachtungen
des Korrespondenten, der mit seinen Sympa
thien auf Seite der Bulgaren stand, noch etwas
hinzufügen. Wenn trotzdem das Mitleid mit
dem niedergeworfenen, um alle seine Hoffnungen
betrogenen Bulgarien in Europa nicht allzu groß
sein konnte, so trug die Schuld daran das Ver
halten der Bulgaren in diesem Meilen Kriege.
Die verübten Greuel in Mazedonien ließen das
Unglück Bulgariens beinahe als eine verdiente
Strafe ansehen.
Die Schrecken des zweiten Krieges.
ersten Balkankrieg sind schon unmensch-
liche Greuel verübt worden. Serben,
V?Jl Bulgaren und Griechen wetteiferten im
Abschlachten türkischer Verwundeter,
Frauen und Kinder. Im Meiten Krieg
aber, als sich die Wut der siegreichen Bal
kanstaaten gegeneinander kehrte, war alles
Gesühl für Menschlichkeit geschwunden; die
Armeen wateten in Strömen von Blut und die
bestialischen Instinkte einer in ihrem Kern noch
barbarischen Bevölkerung kamen zum furchtbaren
Durchbruch. Die Berichte über Greueltaten der
Bulgaren, der Griechen und Serben sind so
entsetzlich, daß wir uns darauf beschränken, nur
die wichtigsten wiederzugeben. Der Rassenhaß
hat unter den Richtkombattanten vielleicht mehr
Opfer gefordert, als die Schlachten; es war ein
Ausrottungskrieg, der mit beispielloser Er
barmungslosigkeit auf allen Seiten geführt
wurde.
Schon zu Beginn des Meiten Krieges
wurde von serbischer Seite über Grausamkeiten
berichtet, die von Bulgaren, und Mar sowohl
von den Banden wie von dem regulären Heer
in Mazedonien verübt wurden. Die Bulgaren
ihrerseits beschuldigten die Serben und Griechen
der gleichen Verbrechen, und es ist kaum festzu-
stellen, welche von den drei Rationen am furcht
barsten gewütet hat. Eine europäische Kom
mission, die zur Untersuchung nach Mazedonien
geschickt wurde, hat detaillierte Ergebnisse ihrer
Untersuchung noch nicht veröffentlicht; es wurde je
doch gemeldet, daß nach ihrer Meinung sich am
scheußlichsten die Griechen benommen haben;
auf diese folgten die Bulgaren und in dritter
Reihe die Serben. Dieses Urteil wird vielleicht im
Hinblick auf die Greuel eine Korrektur erfahren
müssen, welche die Serben erst in letzter Zeit
gegen die albanesische Grenzbevölkerung ver
übten. Wir wollen jedoch hier kein Urteil fällen,
sondern lediglich an der Hand der vorliegenden
Berichte einiges über die Ereignisse mitteilen.
Zunächst Berichte von serbischer Seite.
Ivan Ivanitch, der als Berichterstatter auf
serbischer Seite den Feldzug mitgemacht hat,
schreibt aus Usküb, >7. Juli:
Man sollte es für mittelalterliche Schauer
märchen halten, aber — so unfaßbar es ist, es