Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Gründe des bulgarischen Zusammenbruchs. 
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Das hat sich in der Mannszucht und im Ver 
halten im Feuer gerächt. Die Erfahrungen mit 
diesen jungen Truppen waren nicht gut, trotz 
der Hingebung, mit der viele Kaderossiziere und 
Unteroffiziere ihre Pflicht taten. Die Drama 
brigade hatte Mannschaften von zweiwöchiger 
Ausbildungszeit; es war seltsam, daß man 
solche Truppen an einem besonders gefährdeten 
Punkt den stets geschlossen vorgehenden Griechen 
gegenüberstellte. Die bulgarische Militärkritik 
wird dies berücksichtigen. Es ist bekannt, daß 
die bulgarische Heeresleitung auch über 20.000 
Türken verfügte, die nach dem Londoner Frieden 
als Reservisten einberufen wurden. Das waren 
Leute im Älter von etwa 30 bis 50 Jahren, 
biedere und willige Menschen, aber fast ohne 
Führung. Zuerst wollte man eigene Truppen 
teile aus ihnen bilden, dazu fehlten aber die 
Offiziere; dann wurden sie in Nudeln hierher 
und dorthin gesandt, teils zu 20 Mann wäh 
rend der Gefechte auf die bulgarischen Kom 
pagnien der nächsten Truppen verteilt. Die 
Maßregel hat sich nicht bewährt und es ist 
seltsam, daß Männer, wie die leitenden Militär 
personen in Bulgarien, die so viele Beweise 
von Umsicht gegeben hatten, hier das Falsche 
taten. Hinter den Müllen von Middin hätten 
die Türken sich ausgezeichnet geschlagen; das 
konnte man wissen und dafür einen Teil der 
bulgarischen Besatzung von Middin ins Feld 
nachflehen. Man wird staunen, wenn man hört, 
daß auch der Schießvorrat nicht für einen Krieg 
ausreichte. Zwar hatte man Munition für die 
Creusotschnellfeuergeschütze, aber nicht für die 
zahlreichen alten Kruppgeschütze Kal. 8*9 Zen 
timeter und auch nicht für die den Türken ab 
genommenen ausgezeichneten neuen Krupp- 
Schnellfeuergeschütze, die reichlich auf die Divi 
sionen verteilt waren. Das ist um so merkwürdi 
ger, als Zeit genug vorhanden gewesen war. 
Die Serben waren umsichtiger und hatten 
Schießvorrat für ihre den Türken abgenommenen 
Krupps erhalten. 
Die lange Reihe von Ursachen der Unfertig 
keit des bulgarischen Heeres ist damit nicht er 
schöpft. Den Krieg gegen die Türken hatte man 
siegreich bestanden, gewiß sind Fehler vorge 
kommen, aber die Führer hatten doch das Ver 
trauen ihrer Untergebenen trotz einiger persön 
licher Reibungen in den höheren Kommando 
ionen, die nicht sehr bekannt geworden sind. 
Das Heer und namentlich das Offizierskorps 
war während des Türkenkrieges von dem ge 
sunden Gedanken beherrscht gewesen, alles zu 
unterdrücken, was den festen Bau des Heeres 
erschüttern konnte. So gingen manche gefahr 
drohende Stürme vorüber. Kur) vor dem Bun 
deskriege lagen die Dinge ungünstiger. Wenn 
die Bulgaren aufrichtig sein und aus ihrem 
Mißgeschick lernen wollen, so müssen sie das 
zugeben. Da wankte zunächst der Gehilfe des 
Oberkommandierenden, General Sawow. Man 
fand an ihm zu tadeln und er wurde gegen 
seinen Geschmack in das Getriebe der Politik 
gelogen zu einer Zeit, wo er seiner ganzen 
Sammlung bedurfte, um Bulgariens Heere zu 
stärken und richtig zu verteilen. Er und die 
anderen mußten wissen, daß in diesem Augen 
blicke nur er allein bulgarische Geschichte zu 
machen hatte. Aber hier ging es anders. In Jank 
und Zorn stritt man im Ministerrat um poli 
tische Fragen und die vielen Personenwechsel im 
Heere unmittelbar vor dem Kriege oder doch, 
da Bulgarien den Krieg nicht wollte, unmittel 
bar vor der Möglichkeit, daß Serben und 
Griechen den Krieg beginnen, trugen nicht da 
zu bei, das loser gewordene Gefüge des Heeres 
zu befestigen. 
Es ist kein Zweifel gestattet, daß das Ober 
kommando des Heeres, sei es durch die politischen 
Gründe der Minister überzeugt, sei es aus 
eigener Überzeugung, den Krieg nicht wollte. 
Menn heute in Bulgarien von diesen Dingen 
gesprochen wird, so sagen die früheren Minister: 
Za, wir sind es nicht gewesen, die den Krieg 
befohlen haben, es waren die Militärs. Damit 
ist General Sawow gemeint, der Gehilfe des 
Oberkommandierenden. Und er hat tatsächlich 
den Angriff befohlen, aber nicht, um den Krieg 
zu eröffnen. Diese Dinge, die sehr wenig be 
kannt sind, liegen so: Am 27. Juni waren von 
allen bulgarischen Vorposten Meldungen über 
besonders lebhafte Beunruhigungen der bulgari 
schen Linien durch Serben und Griechen einge 
laufen. Am 28. Juni erließ General Sawow 
den Befehl, am 29. Juni auf der ganzen Linie 
gegen Serben und Griechen vorzugehen. (Mir 
haben den Befehl bereits früher im Mortlaut 
mitgeteilt.) Bekanntlich wurden die Serben zu 
nächst zurückgeworfen. Am 1. Juli erfolgte der 
serbische Gegenstoß gegen die 4. Armee des 
Generals Kowatschew bei Istip und Kotschana. 
An der Abwehr dieses Stoßes beteiligte sich 
die unmittelbar an den rechten Flügel der 
4. Armee anschließende 5. Armee des Generals 
Toschew nicht. Aus dem Depeschenwechsel des 
Oberkommandos und des Kommandos der 
4. Armee geht klar hervor, daß das Fechten 
gegen die Serben den Zweck haben sollte, eine 
Einmischung der Mächte, in erster Linie Ruß 
lands, herbeizuführen. Das ist kein Ziel eines 
Krieges) Da fehlt es an allen Ecken und Enden 
an Tatkraft, Folgerichtigkeit, Sammlung und 
— an Erfolg. Mer mitten im Gefecht dann die 
Feindseligkeiten einstellen will, verzichtet von 
vornherein auf den Sieg. Das soll man nicht 
tun, sobald der erste Schuß gefallen ist. 
Bekanntlich hörten die Serben und Griechen
	        
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