Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Mobilisierung Rumäniens. 
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jeder Ausschreitung zu enthalten. 3 Stunden 
später wurde bereits eine patriotische Kundgebung 
vor dem Denkmale Michaels des Helden, des 
einstigen Großfürsten aller rumänischen Länder, 
veranstaltet. Eine nach Zehntausenden zählende 
Menge war um diese Stunde vor dem Denk 
male versammelt. Mehrere Redner hielten flam 
mende Ansprachen, in welchen sie für den Krieg 
und gegen das ..verräterische" Österreich eiferten. 
Dann zog die Menge zum königlichen Palais. 
Minutenlang erschollen dort in eintönigem 
Rhythmus Hochrufe auf den König und Rufe: 
„Mir wollen den Kriegl" Auch vor dem könig 
lichen Palais wurden Reden gehalten. Man 
warf der Regierung vor, daß sie die Mobili 
sierung nicht ernst nehme und sie nicht durch 
führen werde. 
Der anwesende Polizeipräfekt wurde stürmisch 
aufgefordert, ein Exemplar des Amtsblattes vor 
zuweisen, welches die Mobilisierungsorder ent 
hält. Die Menge erklärte kategorisch, sie werde 
nicht vom Platze weichen, bis ihrer Aufforde 
rung Genüge geleistet sein werde. Schließlich 
sah sich der Polizeipräfekt gezwungen, sich in 
die Staatsdruckerei zu begeben. Rach 1 Stunde 
kehrte er mit dem gewünschten Amtsblatte zurück. 
Mährend der ganzen Zeit setzte die Menge un 
ermüdlich ihre gellenden Rufe nach dem Kriege 
fort. In der demonstrierenden Menge werden 
Tafeln herumgetragen mit den Aufschriften: 
„Rieder mit dem verräterischen Österreich, wir 
haben Österreich-Ungarn schon satt, es lebe 
Großrumänien 1 Es lebe das Rumänien Michaels 
des Helden l Mir wollen den Krieg mit Bul 
gariens" 
Mährend sich der Polizeipräfekt auf dem 
Mege zur Staatsdruckerei befand, erschien in 
den Lüften ein Militäraeroplan, der das könig 
liche Palais umkreiste. Als die Menge seiner 
ansichtig wurde, brach sie in stürmische Jubel- 
rufe aus. 
Gegen die in unmittelbarer Rähe gelegene 
österreichisch-ungarische Gesandtschaft wurde keine 
Kundgebung gerichtet. Der Polizeipräfekt hatte 
übrigens bereits in den frühesten Morgenstunden 
das Gesandtschaftsgebäude durch einen starken 
Polizeikordon abschließen lassen. 
Auch jetzt, nachts, wogt in der taghell be 
leuchteten Kalea Viktorei noch immer eine zahl 
lose Menschenmenge; noch immer erschallen die 
Rufe: „Hoch der Krieg mit Bulgarien) Rieder 
mit Österreich-Ungarn 1" Auch patriotische Lieder 
werden gesungen. Die Kaffeehäuser und alle 
öffentlichen Lokale sind von Menschen überfüllt. 
Überall bildet das einzige Gesprächsthema die 
Mobilisierung und was noch kommen werde. 
Darüber herrscht noch keine volle Gewißheit. 
Man ist teils hoffnungsfroh gestimmt, manch 
mal stellen sich aber auch bange Ahnungen ein. 
Jm Laufe des heutigen Tages wurden ebenso 
wie gestern die fieberhaften Vorbereitungen zur 
sofortigen glatten Abwicklung der Mobilisierungs 
maßnahmen fortgesetzt. Die Marenaufnahme auf 
den Eisenbahnen ist bereits gänzlich eingestellt. 
In allen größeren Stationen werden Magen 
parks zum beschleunigten Transport der mobi 
lisierten Truppen nach ihren Bestimmungsorten 
gebildet. 
Um 5 Uhr nachmittags fand unter dem Vor 
sitz des Ministerpräsidenten und im Beisein des 
Generalstabschefs ein Ministerrat statt, in welchem 
der Mobilisierungsplan, sowie die weiteren zu 
treffenden Maßnahmen besprochen wurden. Es 
verlautet, daß Thronfolger Fürst Ferdinand zum 
Generalissimus der Armee ernannt werden wird. 
Vorläufig werden für Samstag 10 Reservekon 
tingente einberufen werden und außerdem ist für 
später die Einberufung weiterer 5 Kontingente 
geplant. Man will vorläufig eine Armee von 
450.000 Mann bilden und hofft, in Anbetracht 
der schon seit Mochen im Gange befindlichen 
Maßnahmen zu einer Mobilisierung in 6 bis 
7 Tagen mit der Mobilisierung vollständig fertig 
zu sein. 
Sämtliche Blätter begrüßen mit enthusiasti 
schen Morten die Entschließung des Königs und 
der Regierung und betonen, der Zweck der Mo 
bilisierung sei, eine Störung des gegenwärtigen 
Gleichgewichtes auf dem Balkan zum Schaden 
Rumäniens mit allen Mitteln zu verhindern. 
Das offiziöse Organ „La politique" schreibt: 
Mir haben bereits erklärt und wiederholen es, 
daß, welche Konsequenzen es auch haben möge, 
Rumänien nicht dulden kann, das Serbien durch 
Bulaarien verkleinert werde. 
Heute abends hielt die sozialdemokratische 
Partei eine zahlreich besuchte Versammlung ab, 
in welcher gegen die Mobilisierung und gegen 
einen eventuellen Krieg protestiert wurde. In 
den Abendstunden verbreitete sich das Gerücht, 
daß bei den patriotischen Straßenkundgebungen 
ein Student namens Sturdza vor dem Mini 
sterium des Innern von einem Unbekannten er 
schossen worden sei. Alsbald stellte sich jedoch 
heraus, daß es sich lediglich um einen Unfall 
handelte. Der junge Mann hatte einen Re 
volver in der Tasche gehabt, der im Gedränge 
losgegangen war, so daß der Student schwer 
verletzt wurde. 
Von der Verhängung des Ausnahmszu 
standes in Rumänien ist vorläufig keine Rede. 
Das Kriegssieber hatte die rumänische Haupt 
stadt ergriffen; von wo aus geschürt worden 
war, das zeigten am besten die Schmährufe 
gegen Österreich. Der rollende Rubel hatte hier 
sein Merk getan, und ein ganzes Volk in einen
	        
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