Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Debatte über die Balkanfragen im deutschen Reichstage. 
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tages denn doch eine etwas ausgiebigere Aus 
kunft in dieser außerordentlich kritischen Lage 
erwartet hatten. Eine ausführlichere Auskunft 
wäre schon deswegen jetzt am Platze gewesen, 
weil den ganzen Sommer hindurch die Legie 
rung sich beharrlich geweigert hat, den Reichs 
tag einzuberufen. Was wir heute gehört haben, 
waren Allgemeinheiten, Platitüden, wie wir sie 
jedes Jahr hören. Vor allem vermissen wir die 
Auskunft darüber, ob Deutschland gewillt ist, 
seinen ganzen Einfluß zugunsten des Friedens 
in die Wagschale zu werfen. Der Kanzler hat 
nicht von den Dingen geredet, er hat um sie 
herumgeredet. Das sind wir ja nun seit Jahren 
gewohnt. 
Der jetzige Kanzler und sein Vorgänger 
haben sich von jeher ausgezeichnet durch eine 
völlige Verkennung der Weltlage. Der Redner 
sucht dies durch Aufzählung einer Reihe von 
Fällen darzutun und kommt dabei unter anderem 
auf die Rede zu sprechen, die der deutsche Kaiser 
seinerzeit in Damaskus gehalten habe. Diese 
Rede bedeutete die leichtfertige Festlegung 
Deutschlands auf ein Bündnis mit der Türkei, 
wenigstens mußte der Sultan aus dem Auf 
treten des Kaisers den Schluß ziehen, daß sie 
unter allen Umständen gegenüber Angriffen 
fremder Staaten auf die Unterstützung Deutsch 
lands rechnen könnte. Durch die deutschen Freund 
schaftsversicherungen wurde das reaktionäre Re 
giment Abdul Hamids gestützt und Deutschland 
trägt deshalb mit Schuld an all den Scheuß 
lichkeiten, die sich in der Türkei herausgebildet 
haben. 
Die Ankündigung des Reichskanzlers, daß 
Deutschland an der unbedingten Bündnistreue 
mit Österreich festhält, bedeutet eine Blankovoll 
macht für unseren Bundesgenossen zu jeder Maß 
nahme. Das gesamte deutsche Volk hat aber 
ein Interesse daran, daß den österreichischen und 
ungarischen Magnaten und anderen noch höher 
gestellten Persönlichkeiten in Österreich keine 
Blankovollmacht gegeben wird, einen Krieg vom 
Zaune zu brechen. Von den bürgerlichen Par 
teien werden die Diplomaten für die Mißerfolge 
verantwortlich gemacht. Run ist es gewiß nicht 
richtig, daß die Diplomaten die befähigsten sein 
sollen, die einen gutsitzenden Frack und ein gol 
denes Armband tragen. Es wird erst besser 
werden mit unserem diplomatischen Dienst, wenn 
mit den reaktionären Regierungen überhaupt 
ausgeräumt sein wird. Aber freilich, diese Herren 
wollen ihren angeblich gottgewollten 5tstus 
quo aufrecht erhalten. Lediglich im agrarischen 
Interesse der magyarischen Magnaten wurde 
den Serben der notwendige Zugang zur Adria 
verwehrt. Das Recht der Albanesen auf volle 
Autonomie ist damit zu vereinigen. Für Monte 
negro würde dasselbe gelten. Wir warnen aber 
Baltantrleg. U. 
davor, irgendeinen stellungslosen deutschen Prinzen 
den Albanesen aufzudrängen. Wird doch schon 
berichtet, daß ein Mitglied des Hauses in dieser 
Angelegenheit nach Wien gereist sei. 
Wie die Balkanstaaten nach dem Siege sich 
einigen werden, darüber brauchen wir uns den 
Kopf nicht zu zerbrechen. Aber es muß ver 
hütet werden, daß Österreich dabei den Versuch 
zu territorialen Erwerbungen macht. 
Russische Agenten wühlen in Armenien unter 
dem Vorwände, die Armenier befreien zu wollen. 
Das ist der abscheulichste Hohn, den man sich 
denken kann; denn der Zar und seine Schergen 
wüten in ihrem eigenen Lande in nichtswürdiger 
Weise. Die russische Politik wird nur ermöglicht 
durch den deutsch-englischen Gegensatz. Ihn 
schüren aber die Panzerplattenpatrioten, die die 
gefährlichsten Feinde Deutschlands sind. Von 
ihnen Moral zu verlangen, ist ebensoviel, als 
den Haifischen predigen, sie sollten kein Menschen- 
fleisch fressen. Der deutsche und englische Handel 
können sehr gut nebeneinander bestehen. 
Der Redner schloß: 
Wir Sozialdemokraten sind zu Taten bereit, 
um den Frieden zu wahren. Wenn das Ver 
brechen des Krieges durch die kapitalistischen 
Regierungen wirklich begangen wird, werden 
die Sozialisten aller Länder — auf einen bal 
digen Friedensschluß hinwirken. 
Staatssekretär des Auswärtigen Amtes 
v. Kiderlen-Waechter ergriff hierauf das 
Wort zu folgender Rede: 
Gegen zwei Stellen in der Rede des Ab 
geordneten Ledebour muß ich Verwahrung ein 
legen. Der Herr Abgeordnete hat Angriffe 
gegen den uns befreundeten Herrscher eines 
großen Rachbarstaates gerichtet, mit dem wir 
in Friede und Freundschaft leben und zu leben 
wünschen. Diese Angriffe hat der Herr Abge 
ordnete durch nichts motiviert. Sie lassen sich 
auch nicht motivieren diese Ideen, die der Herr 
Abgeordnete für sich als Privileg in Anspruch 
nehmen will. Ich weise diese Angriffe hier 
zurück und bin überzeugt von der Zustimmung 
der überwiegenden Mehrheit dieses Hauses. 
Der Herr Abgeordnete hat sodann die kai 
serliche Regierung ermahnt, ihre Beziehungen 
zu anderen Staaten zu bessern und hat ihr da 
bei den Vorwurf gemacht, einen Zwist mit 
England zu nähren. Diese Äußerungen sind mir 
ein willkommener Anlaß, auszusprechen, daß 
während der ganzen letzten Krise unsere Be 
ziehungen speziell zu England besonders ver 
trauensvoll waren. Die offenen, von vollem 
Vertrauen getragene Aussprache zwischen Lon 
don und uns während aller Phasen dieser Krise 
hat nicht nur eine erfreuliche Intimität unserer 
Beziehungen hervorgerufen, sondern sie hat auch 
einer Verständigung aller Mächte gute Dienste
	        
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