Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

4)6 
Der neue Staat Albanien. . 
□□ 
gen einen reinen geschäftsmäßigen Charakter 
trugen und daß England offenbar die Ehre des 
Aufenthaltes der Friedensdelegierten in London 
nicht mehr alhu hoch einschätzte, war auch der 
Verkehr Mischen den Großmächten und den 
Balkandelegierten ein anderer geworden. Der 
allgemeine Unwille Europas über die Ver 
schleppungsversuche und Winkehüge der Balkan 
delegierten äußerte sich auch in dem Ton, in 
dem die Vertreter der Mächte mit den Dele 
gierten nunmehr )u sprechen begannen. Man 
hatte eingesehen: wenn die Mächte bei den 
ersten Friedensverhandlungen sich nicht darauf 
beschränkt hätten, nur auf die Türkei M drücken, 
wenn sie damals auch die Balkansieger so be 
handelt hätten, wie sie es verdienten, dann wäre 
der Friede bereits damals zustande gekommen. 
Monatelang hatte sich die europäische Diplo 
matie von den Balkandelegierten hinziehen 
lassen; monatelang mußte Europa unter dem 
Druck einer schweren Krise, einer ständigen 
Kriegsgefahr stehen, weil die Balkanverbündeten 
in ihrer Besitzgier da oder dort noch einen 
kleinen Vorteil für sich herauszupressen versuchten. 
Die Wäre von Skutari hatte gezeigt, wie sich 
der Verkehr der Großmächte mit den Balkan 
staaten zu vollziehen hatte, wenn wirklich etwas 
erreicht werden sollte. 
Der neue Staat Albanien. 
^ie Mächte hatten die Gründung eines 
selbständigen Albanien beschlossen. Cs 
dürfte interessant sein, zu erfahren, 
wer eigentlich für die Selbständigkeit 
Albaniens gearbeitet hat und wie plötzlich wäh 
rend des Krieges die Versammlung zustande 
kam, welche die Unabhängigkeit des Landes er 
klärte. Ein Mitarbeiter der „Kölnischen Zei 
tung", der sich Mitte Mai in Valona befand, 
hat von einem Mitgliede' der nationalen Be 
wegung der Albanesen darüber folgendes ge 
hört: 
Vor 35 Zähren wurde zum ersten Male 
von Abdul Bey Frascheri aus Frascheri, Mass« 
Pascha in Skutari und Tachsin Hodscha Filat, 
einem bekannten Philosophen, im Anschluß an 
den Bund in prizrend im Zahre J 877 die erste 
nationale albanesische Partei gegründet, die dann 
unter Leitung Abdul Beys eine Gesandtschaft 
zum Berliner Kongreß sandte, welche die Selbst 
herrlichkeit Albaniens verlangte. Die Gesandt 
schaft wurde damals auch vom Fürsten Bis 
marck empfangen. Es folgten dann auf Veran 
lassung der neuen Partei die Kämpfe der Al 
banesen gegen die Montenegriner, welche nach 
dem Sieg der Arnauten am See von plava 
die Orte Gussinje und plava für Albanien 
retteten. Die Folge dieses Sieges war das Vor 
rücken Derwisch Paschas, der mit einer Armee 
in Albanien einbog, um die Arnauten zur An 
erkennung der Beschlüsse des Berliner Kon 
gresses und die Miederabtretung plavas und 
Gussinjes zu zwingen. 
Die Albanesen wurden bei Verisovic ge 
schlagen, Abdul Bey und seine Getreuen ge 
fangengenommen und nach Brussa verbannt. 
Und seit dieser Zeit begann die Verfolgung der 
albanesischen Vationalisten durch Abdul Hamid. 
Die Männer ruhten nicht, bildeten einen Aus 
schuß, in dem Wassa 'Pascha, Schems Eddin 
Pascha, Sami Bey saßen, dessen Bruder Abdul das 
erste albanesische Alphabet in lateinischen Lettern 
herausgab, bekannt unter dem Vamen Alpha 
bet von Stambul. Aain Bey Frascheri gründete 
dann in Konstantinopel eine Zeitung „D'riter" 
(Licht), in der er in der heftigsten Weise gegen 
die Türken vorging. Ein Leitartikel mit der 
Überschrift „Das unglückliche Albanien" hatte 
die Folge, daß die albanesische Sprache ver 
boten wurde, die Zeitung wurde geschlossen und 
Vain Bey flüchtete mit seinen Anhängern in 
die Fremde, wo sie in Bukarest, Sofia, Brüssel, 
London, Ägypten und Boston albanesische Aus 
schüsse gründeten. Vain Bey selbst zog nach 
Brüssel, wo er in Büchern und Zeitschriften, die 
in der Türkei verboten waren, für nationalistische 
Gedanken arbeitete. Die Bücher aber wurden 
trotz des strengen Verbots eingeschmuggelt und 
trugen viel zur Verbreitung der nationalistischen 
Bewegung bei. Schon unter Abdul Hamid gab 
es den später bekannt gewordenen Verein der 
Baschkim in Bukarest und Sofia. Die meisten 
im Auslande gegründeten Ausschüsse hatten ein 
völlig gemäßigtes Programm; nur in Boston, 
wo man dem Ausschuß den Vamen „Bessa 
Bessen" (Ehrenwort) gegeben, wurde offen die 
Unabhängigkeit Albaniens verlangt. Beide Aus 
schüsse bewaffneten im Zahre 1904 eine Bande 
albanesischer Vationalisten, die bis zur Ver 
fassung unter Führung Tscherschis Topolo und 
Bayo Topolo, eines ehemaligen Lehrers am 
Gymnasium in Saloniki, die Gegend von 
Argyrokastro unsicher machte. Die Bande kämpfte 
4 Zahre lang gegen die Türken, war aus 
Mohammedanern, Katholiken und Orthodoxen 
zusammengesetzt, stand in Verbindung mit der 
bulgarischen Geheimgesellschaft und ging mit 
ihr gemeinschaftlich gegen die Griechen vor, er-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.