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Die Mächte nach der Übergabe von Skutari.
DB
weil die Mächte sich nicht rasch genug über ihr
Verhalten gegenüber Montenegro schlüssig werden
konnten. Das „Sofort" der österreichisch-ungari
schen Regierung war also nicht in dem Sinne
zu nehmen, daß die österreichisch-ungarischen
Truppen etwa sofort nach der ergebnislosen
Sitzung der Botschafterreunion in Montenegro
eingerückt wären. Ruf einen oder zwei Tage
mehr konnte es hier nicht ankommen, der euro
päische Friede war schließlich zum mindesten nicht
weniger wertvoll, als die Reputation der Groß-
mächte auf dem Balkan. Österreich-Ungarn
wartete also zunächst auf die Antwort Monte
negros.
Die Antwort Montenegros auf die Vor
stellungen der Minister.
Am 1. Mai 1913 wurde diese Antwort ge
geben, sie lautete folgendermaßen:
Die königliche Regierung hatte die Ehre, die
Mitteilung der Großmächte vom 27. April zu
empfangen. Sie glaubt, diesen gegenüber ihre
Pflicht zu erfüllen und gleichzeitig der nationalen
Sache, die ihr obliegt, gebührend Rechnung zu
tragen, indem sie ihre Haltung durch eine Dar
legung der Gründe rechtfertigt, welche sie be
stimmt haben, die Entscheidung der Großmächte
bezüglich der Rord- und Rordostgrenzen Alba
niens nicht ohne weiteres zur Kenntnis zu
nehmen.
Die königliche Regierung bedauert vor allem
sehr, mit ihren Alliierten bezüglich der Ab
grenzung Albaniens nicht befragt worden zu fein,
welches durch die siegreichen Armeen der Ver
bündeten vom türkischen Joche befreit wurde
und denen allein es also seine politische Eman
zipation verdankt. Anderseits bestimmen seine
Grenzen das territoriale Verhältnis der alli
ierten Staaten und lösen gleichzeitig eine An
zahl politischer und wirtschaftlicher (Interessen
aus, die diese Staaten nicht gleichgiltig lassen
können.
Die königliche Regierung kann infolgedessen
nicht umhin zu glauben, daß sich den Beratungen
der Großmächte die Rotwendigkeit der Be
fragung der Verbündeten hätte aufzwingen
müssen, insbesondere seit der Unterbreitung des
Memorandums der Balkandelegierten in London,
da die politische Entwicklung der Balkanstaaten
tief und ausschließlich von der Gründung eines
neuen albanestschen Staates berührt wird.
Die königliche Regierung glaubt überdies,
daß, nachdem die Festsetzung der Grenzen Albaniens
der Ratur der Sache nach erst nach Abschluß
des Friedens zwischen den Verbündeten und
dem ottomanischen Reiche durchgeführt werden
könne, jede von den Großmächten ergriffene
Maßnahme zum Zwecke der Räumung von
vormals belagerten Plätzen und besetzten Ge
bieten ebenso wie zum Zwecke der Einstellung
der Feindseligkeiten notwendigerweise eine Ver
letzung der Reutralität, d. h. des Rechtes der
Verbündeten, als Kriegführende im ganzen Um
fange des «Schauplatzes des Balkankrieges zu
operieren und infolgedessen eine willkürliche Be
grenzung der Grundlage für die Friedens
verhandlungen mit dem ottomanischen Reiche
mit sich bringe.
Die königliche Regierung bedauert, daß die
erwähnten Gründe ihr nicht gestattet haben,
Kenntnis zu nehmen von der Festsetzung der
fraglichen Grenzen, insbesondere hinsichtlich der
Regelung der Frage von Skutari und seines
Gebietes, dessen Abgrenzung ganz zum Vor
teile eines nicht existierenden Staates sicherlich
sehr gegen die Intentionen der Großmächte,
gegen die Sicherheit des montenegrinischen
Staates und gegen seine allervitalsten Inter
essen gerichtet ist, was nach Ansicht der könig
lichen Regierung eine offenbare Ungerechtigkeit
seitens der Großmächte bedeutet, die die
Blockade der montenegrinischen Küste beschlossen
haben, um einen Druck gegen Montenegro aus
zuüben wegen Aufgabe der Belagerung Sku-
taris.
Richt in der Absicht, den Millen Europas
zu mißachten, sondern vielmehr im vollen Be
wußtsein ihrer nationalen Aufgabe hat sich die
königliche Regierung geweigert, sich einer Ent
scheidung zu unterwerfen, die es einer Stadt
und eines Gebietes berauben würde, deren Be
sitz von ihr in Übereinstimmung mit der Mei
nung der ganzen Ration als von wesentlicher
Bedeutung für Montenegro angesehen wird.
Und vom gleichen Geiste beseelt und von dem
gebieterischen Bedürfnis seiner Erhaltung be
stimmt, hatte sie die Ehre, am 21. April im
Einvernehmen mit ihren Verbündeten den Groß
mächten zu erklären, daß sie sich für die Unter
handlungen mit der Pforte das Recht vorbe
halte, mit den Großmächten die auf Feststellung
der Grenzen Albaniens bezüglichen Fragen zu
verhandeln. Unterdessen hat die Stadt Skutari
kapituliert.
Die königliche Regierung, von dem Wunsche
beseelt, den Großmächten ihre Ehrerbietung zu
bezeugen, beeilt sich zu erklären, daß dieses
neue Faktum keineswegs nach ihrer Auffassung
eine Herausforderung hinsichtlich der Entschei
dung über das Schicksal Skutaris bedeutet. Die
Besitznahme dieser Stadt nach der Kapitulation
vom 23. April ist nur die logische und natür
liche Folge eines früheren Zustandes, einer mili
tärischen Operation, die beschlossen und durch
geführt wurde, auf Grund jener vollen und
ganzen Aktionsfreiheit, welche die königliche
Regierung mehr als einmal im Laufe dieses