Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Übergabe von Skutari an die Montenegriner. 
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geschickt und auf diese Weise die Verbindung 
mit dem dortigen österreichischen Postamt auf 
recht erhalten. Die Kawassen sind jedoch als 
bald da und dort angeschossen worden, bis der 
Ving der Belagerer so dicht wurde, das) es 
auch auf Schleichwegen nicht mehr möglich war, 
durchzukommen. 
Boten, meist katholische Albanesen, waren 
nur für hohe Summen zu bewegen gewesen, die 
Vermittlung von Vachrichten an die Küste zu 
übernehmen und dann wurden diesen Boten die 
auf Leinwand geschriebenen Mitteilungen in 
die Kleidung oder zwischen die Schuhsohlen ein 
genäht, um vor Entdeckungen sicherer zu sein. 
Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln ist kaum einer 
der Boten lebend zurückgekehrt; die meisten sind 
von den Montenegrinern und Serben aufge 
griffen und ohne Beweisverfahren erschossen 
oder gehängt worden. 
In der Absicht, die Außenwelt, von der wir 
annehmen mußten, daß sie nicht die entfernteste 
Kenntnis von den furchtbaren Vorgängen und 
den Leiden in Skutari habe, um Hilfe anzu 
flehen, verfielen wir auf den Gedanken, Briefe 
in Flaschen zu versiegeln und letztere der Strö 
mung der Bojana anzuvertrauen. Wir hofften, 
daß einige dieser Flaschen an der Mündung der 
Bojana oder in der Adria aufgefischt würden 
und daß der Finder die in herzbewegenden 
Worten niedergeschriebene Schilderung unserer 
Drangsale weitergeben werde. 
An JOO solcher Flaschen mit Briefen in 
französischer, deutscher, englischer und italienischer 
Sprache sind die Bojana hinabgeschwommen; 
nicht eine einzige erreichte ihr Ziel, denn die 
Montenegriner hatten über den Flußlauf Vetze 
gespannt und fingen so unsere Vachrichten auf. 
Die Schilderung unserer Leidenszeit wäre 
keine vollständige gewesen, wenn ich nicht auch 
das Elend erwähnen wollte, das durch den stetig 
zunehmenden Mangel an Lebensmitteln ent 
standen und bis zu solchem Maße gewachsen 
ist, daß in den letzten Wochen der Belagerung 
Hunderte der Ärmsten buchstäblich Hungers 
sterben mußten. 
Vorsichtige und genügend wohlhabende Leute 
hatten sich schon in den ersten Stadien der Be 
lagerung reichlich mit Lebensmitteln aller Art, 
mit Petroleum, Kerzen und sonstigem Hausrat 
versehen. Später ist für Geld nichts mehr er 
hältlich gewesen oder nur ganz ausnahmsweise 
um fabelhafte Preise. So wurden im Oktober 
für JOO Oka Mais 17 türkische Pfund (etwa 
350 Mark) bezahlt und im März mußte ich für 
dasselbe Maß 70 Pfund bieten. 
Wer etwas benötigte, konnte dies nur im 
Tauschwege bekommen, wobei sich — je nach 
der Knappheit der Ware — ganz eigenartige 
Bewertungsmaßstäbe herausgebildet hatten. Der 
Erzbischof bot dem französischen Konsul einen 
Sack Mehl und bekam von ihm eine Kanne 
Petroleum; eine Kiste Flaschenbier wurde kaum 
höher bewertet als einige Kilogramm Speck. 
„Heute kann ich Sie zu einem feinen 
Abendbrot in unseren Keller bitten", sagte der 
österreichische Konsul am Ostersonntag zu mir, 
„Essad Pascha hat uns einen Laib Käse ge 
schenkt." 
Für die Soldaten sind reichliche Verpflegs- 
vorräte für mehrere Monate in der Festung 
gewesen, doch auch diese sind allmählich knapper 
geworden, bis die Tagesrationen nur mehr aus 
Pferdefleisch und Zwieback bestand. Für die 
arme Bevölkerung waren schon Anfang Januar 
Tage bitterer Vot gekommen; wohl sind durch 
die Intendanz des Festungskommandos ab und 
zu Lebensmittel verteilt worden, allein deren 
Ausmaß war weitaus zu gering und auch die 
Art der Verteilung scheint nicht immer unpar 
teiisch gewesen zu sein. 
In geradezu rührender Art sorgten die 
Konsuln von Österreich-Ungarn, Italien und 
Frankreich für ihre Schutzbefohlenen. Frau 
v. Iambaur hatte bereits in den besseren Tagen 
aus Maismehl Zwieback bereitet und Vorräte 
gesammelt, und als die Vot stieg, war sie der 
rettende Engel der darbenden Mitglieder der 
Kolonie und zahlloser verwaister Kinder, deren 
Eltern durch die montenegrinischen Geschosse ge 
tötet worden waren. . 
Jm Hofe des Konsulatsgebäudes mußten 
die Kinder ihre Vationen verzehren, wenn sie 
nicht Gefahr laufen wollten, auf der Straße 
beraubt, ja selbst erschlagen zu werden, um des 
kümmerlichen Bissens willen. 
Um die Mitte April waren die Vorräte 
allenthalben schon so knapp geworden, daß man 
die Tage ihrer Dauer zu zählen vermochte; nur 
an Wein und Zigarettentabak herrschte relative 
Wohlhabenheit. Die Truppen begannen immer 
lauter zu murren, in den Spitälern fehlte es 
an Vahrung für die Verwundeten und Kranken; 
die Vot war auf das höchste gestiegen und da 
man die Hoffnung auf auswärtige Hilfe schon 
längst aufgegeben hatte, konnte kein Zweifel 
mehr bestehen, daß eine Kapitulation aus 
Mangel an Lebensmitteln den Abschluß des 
Monatlichen Dramas bilden werde. 
Da ich selbst nie Soldat gewesen bin, maße 
ich mir kein Urieil über die militärischen Vor 
gänge in Skutari an, allein es sei mir darum 
doch gestattet, jener Männer kurz Erwähnung 
tun zu dürfen, welche an der heldenmütigen 
Verteidigung das Hauptverdienst hatten. 
Oberst Hassan Viza Bey — seine Ernennung 
zum General und Pascha hat er nicht mehr er 
fahren — ist unstreitig die Seele des Wider 
standes gewesen; ihm gebührt das Verdienst,
	        
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