Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Übergabe von Skutari an die Montenegriner. 
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benachbarten Albanesenstämmen nach jeder 
Dichtung hin untersagte. Blos) alte Weiber mit 
Lebensmitteln oder Hol) sind nach Skutari ein 
gelassen worden, nachdem sie bei den Vorposten 
einer rücksichtslosen Leibesdurchsuchung unter 
zogen worden waren. Jeder Versuch, schriftliche 
Vachrichten in die Stadt oder aus derselben zu 
bringen, wurde auf der Stelle durch Erschießen 
bestraft. 
Von diesem Zeitpunkte an begann unsere 
eigentliche Leidenszeit. Eine öffentliche Kund 
machung verbot zuerst den Wucher mit Lebens 
mitteln, dann das Fällen von Bäumen, auch 
auf eigenem Grunde, sowie die Ansammlung 
von mehr als 4 Personen unter Androhung 
von Prügel- und Kerkerstrafen, später wurde 
jedermann das Verlassen der Häuser nach Ak- 
scham (Sonnenuntergang) verwehrt und am 
25. Vovember verkündete Hassan Viza, jeder 
mann hängen zu lassen, der wagen sollte, von 
Übergabe auch nur zu sprechen. 
Gegen die fremden Kolonien ist Hassan 
Viza verhältnismäßig rücksichtsvoll gewesen, 
trotzdem er in der Erfüllung der Forderungen 
der Konsuln nicht allzu entgegenkommend ge 
wesen ist. 
Herr v. Iambaur, der österreichisch-ungarische 
Generalkonsul, war der Doyen des Konsular 
korps. Ihm folgte im Vange der französische 
Konsul Krajewski, der russische und der eng 
lische Vizekonsul; nach Abschluß des Friedens 
von Lausanne war auch der italienische Konsul, 
Conte Mancinelli, auf seinen Posten zurück 
gekehrt. 
In der Annahme, daß der Kampf um Sku- 
tari sich um den Besitz der feldmäßigen Ver 
schanzungen nördlich der Stadt, zwischen dem 
See und dem Kiribache, dann auf den Höhen 
von Bardagnol, insbesondere aber am Tara 
bosch, dem dominierenden Schlüsselpunkte der 
Stadt, abspielen werde, sind unsere Besorgnisse 
um das eigene Leben, sowie um Hab und Gut 
anfänglich nur sehr oberflächlich gewesen. Vur 
zu bald mußten wir indes unsern Irrtum ein 
gestehen, als die Zahl jener montenegrinischen 
Granaten immer häufiger wurde, die nicht gegen 
die Befestigungen, sondern auf die Stadt selbst 
gerichtet waren, denen harmlose Leute, ja selbst 
spielende Kinder meuchlings zum Opfer sielen. 
Es war geradezu auffallend, wie die Mon 
tenegriner das Feuer ihrer schweren Geschütze 
mit berechnender Absicht immer intensiver gegen 
das Christenviertel richteten, indes sich weit 
seltener eine Granate in die Türkenstadt oder 
in den Basar verirrte. Man kann sagen, daß 
das Bombardement vom 30. Vovember an, ein 
nahezu ununterbrochenes gewesen ist, denn selbst 
in den tagelangen Kampfpausen und bei Vacht 
wurde das Geschützfeuer iü regelmäßigen Inter 
vallen unaufhörlich fortgesetzt, Intervalle, deren 
Länge zwischen 1 Stunde und 10 Minuten 
schwankte. Hundertmal habe ich sie mit der Uhr 
in der Hand gemessen, hundertmal habe ich mit 
meiner angsterfüllten Umgebung aufgeatmet, wenn 
dem Unheil verkündenden Sausen endlich die 
Explosion gefolgt war, ein Zeichen, daß sie 
anderswo Tod und Verderben gebracht habe. 
In den Tagen vom 7. bis zum Y. Februar 
hatte das Feuer der Montenegriner an Inten 
sität derart zugenommen, daß es überhaupt nicht 
mehr möglich gewesen ist, die Schüsse zu zählen 
oder deren Wirkungen zu beobachten. Es ist 
keine Redensart mehr, wenn von einem Geschoß 
hagel gesprochen wird, der in diesen 3 Tagen 
durch 62 Stunden gewütet hat, gewütet in des 
Wortes furchtbarster Bedeutung. 
Während Monsignore Sereggi, der katho 
lische Erzbischof, an der Bahre seiner Schwester 
Gebete verrichtete, riß eine Granate die Decke 
des Gemaches durch, um im Vebenraume unter 
Getöse und Verwüstungen zu krepieren. Als sich 
am folgenden Tage die Katholiken in größerer 
Zahl an der Leichenfeier zu beteiligen versuchten, 
regnete es gerade um die Kathedrale Hunderte 
von Schrapnells. Der Leichenzug stob flucht 
artig auseinander — dann ließ das Schrapnell 
feuer wieder nach. Konnte es da noch einen 
Zweifel geben, daß dieser Feuerüberfall ein 
wohlberechneter gewesen sei? 
Im Hause des englischen Gutsbesitzers 
Mr. Paget hatte eine Granate das Dach durch 
geschlagen und eine Frau in Stücke gerissen; 
der Garten des österreichisch-ungarischen Konsu 
lates war von schweren Bomben förmlich ge 
pflügt worden, deren Sprengstücke an der Woh 
nung des ersten Dolmetschers und im Kawaffen- 
gebäude arge Verwüstungen angerichtet hatten. 
Frauen und Kinder waren in die Keller ge 
flüchtet, an den Trümmern buchstäblich entzwei 
gerissener Häuser hingen da und dort die bluti 
gen Fetzen zerfleischter Leichname herab und 
durch die öden Straßen irrten die vor Schreck 
und Aufregung wahnsinnig gewordenen Leute 
umher, deren Zahl ich nicht anzugeben vermag. 
In der zweiten Februarwoche hatte sich auch 
noch eine grimmige Kälte eingestellt. Wer konnte, 
wärmte sich in den Kellerräumen an Petroleum 
öfen oder Lampen, deren qualmende Schwaden 
die Atmosphäre verpesteten und dennoch war 
man froh, vor den Unbilden der Belagerung 
und der Jahreszeit wenigstens notdürftig ge 
schützt zu sein. 
Von den Konsulaten und den ihrem Schuhe 
anvertrauten Klöstern wehten die Flaggen der 
Großmächte, von den zahlreichen Spitälern der 
rote Halbmond im weißen Felde, aber deren 
völkerrechtlicher Schutz versagte gegenüber der 
Roheit und Barbarei der Montenegriner. Im
	        
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