Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Übergabe von Gkutari an die Montenegriner. 
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anmarschiert — durch die Umzingelung der vom 
Verkehre abgeschnittenen Stadt und durch die 
Votdurft und den Konsum der Verteidiger, die 
unter Mühseligkeiten ihre erlahmenden Kräfte 
aufrecht hielten. 
So wurde alles noch Erreichbare, das den 
Hunger stillen konnte, vom Magen der Armee 
verschlungen, und als mit fortschreitenden Kriegs 
nöten das Brot ausging, buchstäblich das aus 
Getreide erzeugte Brot, war das Schicksal 
Skutaris besiegelt. Denn der türkische Soldat 
hält aufs Brot und nur aufs Brot, das er nicht 
entbehren kann. Skutari ist durch Hunger ge 
fallen. 
Indessen fristeten wir unser Dasein im Keller. 
Mir hatten uns im Drang der Zeit förmlich zu 
artilleristischen Sachverständigen ausgebildet. Mir 
konnten nach dem Schall der Detonationen, 
nach den Wirkungen der schrecklichen Ierstörungs- 
maschinen auf die Dichtung und Entfernung 
unserer Belagerer schlichen, wir konnten Vor 
sorgen, uns nach Möglichkeit zu schützen und 
uns zu verkriechen, wo es verhältnismäßig am 
sichersten schien. Volle 5Vs Monate lang hat 
mein Mann von seiner Regierung absolut keine 
Zustellung bekommen, hat keinerlei Vachricht 
von außen erhalten, hat nicht gewußt, was in 
der Melt außerhalb des belagerten Skutaris 
vorgeht, hat nicht die Möglichkeit gehabt, mit 
zuteilen, wie es uns und unseren Landsleuten 
ergeht. 
Mir haben Leute ausgeschickt, um irgend 
welche Mitteilungen über uns in die Melt zu 
bringen und wir haben solchen Boten bis zu 
hundert türkische Pfund bezahlt, nur damit wir 
irgendeine Verbindung mit der Außenwelt finden 
— es ist uns nicht geglückt. Mie immer wir es 
anfingen, wir blieben isoliert, umzingelt. 
Alle Vorsichten ließen wir walten, alle 
Finten wendeten wir an — es ging nicht. Mir 
haben auf ein Stück Kleiderstoff oder auf einen 
Lappen Leinenzeug in ein paar lapidaren 
Morten das Michtigste über die Lage und über 
das Los unserer Landsleute aufgezeichnet, haben 
diese geheimen Depeschen unseren Boten in die 
Kleidertaschen oder in die Mäsche eingenäht — 
wir haben keine Antwort erhalten, wir haben 
die Emissäre nie wieder gesehen. 
Die Visitation war zu genau und über das 
Schicksal der Boten ist uns nichts mehr bekannt 
geworden. Mahrscheinlich hat man sie er 
schossen. 
Mir haben Flaschenposten ausgesendet. Man 
denke: im Binnenland Flaschenposten 1 Mir 
schickten unsere schwimmenden Depeschen auf der 
Bojana hinaus in das Meer, hoffend, man 
würde sie auffangen, weitergeben oder veröffent 
lichen — umsonst! Mir faßten unsere kurzen 
Vachrichten in englischer Sprache ab und 
glaubten, würde man sie wirklich abfangen, so 
müßte man diese (nach London adressierten) 
Telegramme für Mitteilungen der in Skutari 
lebenden englischen Arzte halten — umsonst! 
Tags darauf sagten uns die Montenegriner 
höhnisch: Ja, ja, wir haben die Flaschen schon, 
die Sie weggeschickt haben! 
Bei 60 Flaschenposten schickten wir ab, um 
Mitteleuropa davon zu verständigen, wie es 
uns geht und was mit uns am Ende geschehen 
wird, wenn man uns Tag und Vacht bom 
bardiert ... Es ist gewiß keine ans Ziel 
gelangt! 
Endlich, endlich, nach langen, langen Tagen 
und Machen kam uns das Gerücht zu, daß 
man vom Tarabosch her einige fremde Kriegs 
schiffe gesehen habe. 
Mir erfuhren das von den türkischen Offi 
zieren, die uns zuzeiten besuchten und uns 
Mitteilungen über die Lage der Stadt und 
über die unmittelbaren Vorgänge ringsum 
machten. Mir wußten nicht, in wessen Auftrag 
und in welcher Absicht die Dampfer kamen — 
unsere militärischen Berichterstatter hatten noch 
keine Flagge erkannt. Mir hofften nur, es müßte 
eine Mendung eintreten. 
Sehr bald trübte unsere Erwartung die Be 
sorgnis, es würden — was wir fest glaubten 
— Griechen sein, die den Montenegrinern und 
Serben zu Hilfe kamen. Von einer internatio 
nalen Flottenaktion wußten wir nichts und von 
der Blockade zur See erfuhren wir erst — als 
die Montenegriner in die Stadt einzogen. 
Vier Mochen lang war das Bombardement 
unterbrochen. AIs es eine Meile still war, 
dachten wir, daß infolge einer Intervention 
unbeteiligter Mächte Maffenruhe herrschen 
müsse, hofften wir, die wir von jeder Vachricht 
abgeschnitten waren, daß der Krieg nun zu 
Ende sei und wagten uns mitunter hinaus. 
Auch bezogen wir wieder die Mohnräume 
unseres Hauses und richteten uns so halbwegs 
häuslich ein. 
Aber in der Vacht vor der Übergabe hat 
man die Stadt wieder beschossen, und zwar 
furchtbar und die ganze Vacht. Diese eine, 
diese schreckliche Vacht verbrachten wir wieder 
im Keller. Mir dachten nichts anders und er 
zitterten bei dem schrecklichen Gedanken, als es 
beginne neuerdings ein Dauerbombardement, 
aber es währte nicht lauge. 
Es war das Ende der schrecklichen Zeit ge 
kommen — endlich ein Ende! Der Sorgen und 
Gefahren, der Vot und des Elends in diesem 
Halbjahr ist schon gedacht worden. Aber auch 
Krankheiten hatten wir, die unerläßlichen trau 
rigen Begleiterscheinungen der Kriegspein und 
der Unterernährung. 
Krankheiten hatten wir genug, auch einmal
	        
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