Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Ermordung des Königs Georg von Griechenland. 
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vom Feinde. 7hm war ein Offensivvorstoß der 
türkischen Armee schon deshalb nahezu aussichts 
los, weil die Belagerungsarmee von Adrianopel 
mit ihren schweren Geschützen nach Tschataldscha 
im Anmarsch war. So prächtig sich die türki 
sche Armee auch im zweiten Teil dieses Krieges 
gehalten hatte, das Schicksal hatte gegen die 
Türkei entschieden und mit dem Falle von 
Adrianopel mußte in Konstantinopel jeder Ge 
danke an die Möglichkeit der Zurückgewinnung 
der verlorenen Gebiete schwinden. Wenn nicht 
der Zufall der Türkei zu Hilfe kam. 
In Sofia schätzte man den Erfolg von 
Adrianopel sehr hoch ein; Bulgarien feierte 
Siegesfeste und die ganze slawische Welt 
feierte mit. Aber durch den Balkanbund ging 
bereits ein Ais), der sich von Woche zu Woche 
vertiefte. Zwischen Bulgarien und Griechenland 
herrschte wegen Saloniki eine Verstimmung, die 
an Heftigkeit zunahm, je mehr sich Griechen 
land in Saloniki häuslich einrichtete. Die 
Rivalität zwischen Serbien und Bulgarien hatte 
sich bei der Einnahme von Adrianopel gezeigt: 
Bulgarien gönnte den Serben kaum ein Teil 
chen des Ruhmes der Einnahme der Stadt, 
und das mußte naturgemäß in Belgrad ver 
stimmen. Wohl hatte Bulgarien in dem 
Kriege die weitaus größten Opfer gebracht und 
das weitaus schwierigste Werk zu vollbringen 
gehabt, da nur der bulgarischen Armee eine 
halbwegs gleichwertige türkische Armee gegenüber 
stand. Aber Serbien und Griechenland hatten, 
weil Bulgarien unbedingt auf Adrianopel be 
stand, die ungeheuere Last des Krieges weiter 
getragen, Serbien hatte Bulgarien seine Truppen 
zu Hilfe geschickt, und nun zeigte sich Bulgarien 
so wenig dankbar, daß man in Serbien jetzt 
bereits annehmen mußte, die bulgarische Re 
gierung würde sich nur sehr ungern bereit finden, 
Serbien für seine Hilfeleistung bei der Auf 
teilung des eroberten Landes schadlos zu halten. 
Mit der Eroberung Adrianopels war der 
Krieg endgiltig entschieden; daß Skutari sich 
noch hielt, hatte für die Türkei nichts mehr zu 
bedeuten, denn die Großmächte hatten die Un 
abhängigkeit Albaniens beschlossen, und für die 
Türkei konnte es an sich gleichgiltig sein, ob 
Skutari zu dem unabhängigen Albanien oder 
zu Montenegro gehörte. 
Die Konsequenzen aus der Einnahme von 
Adrianopel wurden auch bald gezogen. Ehe 
wir uns jedoch den Friedensbestrebungen zu 
wenden, muß eines Ereignisses gedacht werden, 
das zwar nicht unmittelbar, nicht in seinen Ur 
sachen mit dem Krieg in Zusammenhang stand, 
aber doch während des Krieges und gewisser 
maßen auf dem so heiß umstrittenen Boden sich 
zutrug. 
Die Ermordung des Königs Georg von Griechenland. 
M m 1 s. März wurde König Georg von 
Griechenland in Saloniki bei einem 
Spaziergang durch einen meuchlerisch 
abgegebenen Revolverschuß getötet. 
König Georg war bei seinem Sohne, dem 
Prinzen Rikolaus, zu Besuch gewesen und ver 
ließ kurz nach 4 Uhr in Begleitung seines 
Adjutanten, des Oberstleutnants Frankudis, den 
Palast des Prinzen. Der König ging zu Fuß 
mit seinem Begleiter zur Kaserne der griechi 
schen Truppen, die er jeden Rachmittag zu be 
sichtigen pflegte. Der König wurde von den 
Passanten auf der Straße überall ehrerbietigst 
gegrüßt. 
plötzlich sprang aus einer Seitengasse ein 
Individuum hervor und ging auf den König zu. 
Im nächsten Augenblick feuerte das Individuum 
aus unmittelbarer Rähe einen Revolverschuß 
auf den König ab. Der König wankte und siel 
in die Arme seines Adjutanten. 
Zwei Soldaten, die Zeugen des Vorfalles 
waren, eilten sofort zur Hilfe und hoben den 
schweratmenden König in eine Droschke, die in 
größter Eile in das nächstgelegene Spital fuhr. 
Auf der Fahrt dahin gab der schwerverletzte 
König den Geist auf, ohne das Bewußtsein 
wieder erlangt zu haben. Oberstleutnant Fran 
kudis verständigte sofort die Militärbehörden, 
die sich unverzüglich in das Spital begaben. 
Als Prinz Rikolaus von dem Unglück be 
nachrichtigt wurde, eilte er sofort ins Spital, 
doch konnten ihm die Arzte nur noch den be 
reits eingetretenen Tod seines Vaters melden. 
Rach kurzem Gebet, das Prinz Rikolaus an 
der Leiche seines Vaters sprach, begab er sich 
ins Hauptquartier, woselbst er die höheren 
Offiziere um sich versammelte, um sie den Treu 
eid für seinen Bruder, den Kronprinzen Kon 
stantin, schwören zu lassen. In einer kurzen An 
sprache forderte Prinz Rikolaus die Offiziere 
zur Treue für den künftigen König auf und 
schloß seine Ansprache mit dem Rufe: „Lang 
lebe König Konstantin." 
Der Attentäter, der wie angewurzelt vor 
seinem Opfer stehen geblieben war und nicht 
den geringsten Versuch gemacht hatte, zu ent 
fliehen, wurde zu Boden gerissen und in das 
Hauptquartier gebracht. Er machte nach der
	        
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