Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

304 
Die Kämpfe um Bulair. 
□□ 
war eine andere türkische Armee als die von 
Kirkkiliffe und Lüle Burgas. 
Drei Tage bei den Vorposten von Bulair 
schildert ein Berichterstatter der „Kölnischen 
Zeitung" unterm 7. April. Er erzählt unter 
anderem: 
Wohl selten war es einem fremden Bericht 
erstatter erlaubt, Tag und Vacht bei den Vor 
posten einer kriegführenden Armee cucubringen. 
So wunderte ich micht nicht wenig, als der Ober 
kommandierende der Armee bei Gallipoli der 
Bitte meines alten Freundes Wassli Bey nach 
kam und mir gestattete, brausten als Gast bei 
den Vorposten einige Tage cu weilen. Sonntag 
früh ritt ich wieder hinaus gegen Bulair, durch 
die Stellungen der Truppen, sah wieder alles 
in emsiger Tätigkeit, sie exercierten, gruben und 
hackten, ein richtiger Ameisenhaufen. Wieder 
ritt ich ungehindert mit meiner Begleitung durch 
die Linien hinunter nach Bulair, dessen bisher 
nur einigen Kriegshistorikern bekannter Vame 
durch diesen Krieg internationalen Auf er 
worben haben wird. Woher der Vame kommt, 
darüber sind sich die Gelehrten noch nicht 
einig. Die einen behaupten, er stamme aus 
dem Griechischen und bedeute „Viel Wind". 
In der türkischen Sage wird er auf einen Aus 
ruf des osmanischen Heerführers Suleiman 
Pascha curückgeführt. Als der erste Eroberer 
europäischen Bodens die Dardanellen über 
schritten habe, soll ihm ein junger Grieche wert 
volle Spionagedienste geleistet haben und als 
nachher Suleiman Pascha die Halbinsel beseht 
hatte, da habe der Junge in der Angst vor 
einem Christengemetzel den Pascha gebeten, 
seine Familie cu schonen, worauf dieser ausge 
rufen habe: Bulair, finde sie und suche sie 
herausl Die erste Deutung wird wohl die 
richtige sein; darauf weisen schon die zahlreichen 
heute cerstörten Windmühlen hin, die sich im 
Kreise um die Stadt ciehen und auch der seit 
meiner Anwesenheit beständig wehende starke 
Wind scheint mir recht cu geben. Im Dorfe 
hat sich nichts geändert. Einige Soldaten sind 
dabei, Bretter und Balken aus den Trümmern 
bervorcuciehen, denn man braucht Heystoff in 
dieser hoharmen Gegend. Voch einen Kilometer 
und ich bin im Lager des Vorpostengros. Der 
Befehlshaber erwartet mich vor seinem Zelte, 
er wohnt, wie seine Leute, im einfachen Sol- 
datencelt, dessen gance Einrichtung Bett, Tisch 
und Stuhl sind. Auf dem kleinen Tische liegen 
neben den beiden Telephonapparaten gance 
Stöste Bücher, die Bände von Balcks Taktik, 
alle deutschen Exercier- und Schiestvorschriften 
und, aufgeschlagen bei dem Kapitel Moralische 
Gröste, das bekannte Buch von General von 
Clausewih „Vom Kriege". 
. Wassli Bey ist einer der wenigen Ofsiciere, 
die nicht nur in -der deutschen Armee gedient, 
sondern auch deutschen Geist und deutsche Mili 
tärwissenschaft angenommen haben und er freut 
sich, das in Deutschland beim Vegiment 65 in 
Köln Gelernte heute verwerten cu können. Kein 
Wunder, wenn mir in Gallipoli der General 
stabschef sagte: Jetzt können wir ruhig schlafen, 
wo Wassli Bey mit seinem Vegiment an der 
Front steht. — Der Kommandeur hat alles vor 
bereitet, um mir den Aufenthalt so angenehm 
wie möglich cu machen. Ein grostes, offenes 
Zelt bildet den Speisesaal. Das Tischtuch wird 
durch vier bulgarische Schrapnells gehalten, die 
3 Tage vorher nach einem kleinen Artillerie 
gefecht gefunden wurden. Es war beim Posten- 
wechsel, als die Bulgaren plötzlich die äusterste 
Feldwache der Mitte beschossen. 42 Schrapnells 
krachten über den Köpfen der Leute, die ruhig 
in ihren Schützengräben liegen blieben, und alle 
schlugen ungefähr 4OO Meter dahinter ein in 
den weichen Ackerboden, ohne den geringsten 
Schaden aiyurichten; da trat auch die türkische 
Artillerie in Tätigkeit und antwortete mit 12 gut 
gecielten Schüssen, die teils in eine vorrückende 
Kompagnie, teils in die bulgarische Maschinen 
gewehrabteilung einschlugen. Vach dem Gefecht 
wurden die Geschosse gesammelt und jetzt cieren 
sie unseren Tisch. 
Vach dem Essen ritten wir cum rechten 
Flügel ans Marmarameer, wo seit 2 Tagen 
1 Bataillon, das bisher auf Feldwache war, 
lagerte. Waffli Bey liest die Truppen im Kreise 
antreten und dankte ihnen im Vamen des 
Armeekommandeurs für ihre vorzügliche Haltung, 
er dankte persönlich dem Bataillon dafür, dast 
es sein Versprechen, einen erschossenen Kame 
raden cu rächen, gehalten habe. Eine bulgari 
sche Patrouille hatte nämlich während der Vacht 
einen türkischen Posten niedergeschossen. Die 
Leiche wurde mit allen militärischen Ehren be 
stattet, wobei die Kameraden nach einer flam 
menden Vede ihres Kommandeurs schworen, 
den Tod des Kammeraden cu rächen und in 
der nächsten Vacht rückten Freiwillige vor und 
schossen eine bulgarische Patrouille von 5 Mann 
nieder. Der Vegimentskommandeur dankte dann 
den Ofstcieren, stellte mich als Freund der tür 
kischen Armee vor und nachdem wir noch den 
auch im Kriege üblichen türkischen Kaffee ge 
nommen hatten, ritten wir weiter cu den Feld 
wachen und krochen dann vorsichtig cu den 
äustersten Posten. Hier waren wir höchstens 
1500 Meter vom Feinde entfernt und konnten 
deutlich die Posten und Stellungen der Bul 
garen unterscheiden. Später ritten wir durch das 
vor einigen Tagen vom Feinde beschossene Ge 
lände, wobei ich noch ein Schrapnell fand, das 
ich als Andenken mitnahm und dann gings ins 
Lager curück, wo eben eine Kompagnie ange
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.