Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Nn der Tschataldschafront. 
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einst das Master des Lebens für unseren Staat 
quoll, hatten, uyr Holz für jene Kreuze zu ge 
winnen, ein friedliches türkisches Heim in 
Brand gesteckt, eingeristen, verwüstet, zersägt 
und zertrümmert. Diese Bulgaren, die in der 
großen Türkei überall Höllen aufflammen 
ließen, haben ihre Soldaten mit grausamem 
Hohne dem zerstörten türkischen Hause gegen 
über begraben und Kreuze auf ihren Gräbern 
errichtet, als wollten sie sagen, das ist unser 
Merk! Und ihr werdet noch viel von uns er 
leben . . - Und wir drangen weiter in das 
Innere der Kastabar. Da lag ein Haus, dessen 
Mauer zur Hälfte auf die Straße gesunken 
war. Drinnen sahen wir zerbrochene Krüge und 
Karaffen, verbogene und zertretene Kupfergefäße. 
Ein Kätzchen kam herangeschlichen und sah uns 
mit wildem, mißtrauischem Blicke an. Das 
arme Tier hatten sie als „türkische" Katze 
wahrscheinlich tagelang hungern lasten. Auf der 
Straße lagen in den Schmutz getretene Frauen 
gewänder, Bettücher, gestickte Kopfkissen. Alles 
das rief uns ins Gedächtnis, daß wir Rache 
zu nehmen hatten für die in den Kot gezogene 
Unschuld, für die unter die schmutzigen Soldaten 
stiesel getretene Frauenehre. 
Da standen auch einige Häuser, die die 
Bulgaren keine Zeit gefunden hatten, zu zer 
stören und einzureißen. Dafür hatten sie in der 
Eile die Fensterscheiben eingeworfen. Die Türen 
waren ausgeristen. Aus bloßer Zerstörungswut 
hatten sie sich zu entschädigen gesucht an toten 
Dingen, weil sie die Bewohner auf ihrer Flucht 
nicht hatten erreichen können. 
Auf unserer Wanderung durch die Trümmer 
von Tschataldscha erreichten wir die Ferhadijeh- 
Moschee. Uber 3 Stufen stiegen wir zu dem 
Moscheenhof empor. Der Wind wehte hier 
schneidend kalt. Unter den zerstörten Zypressen 
stand nur eine aufrecht. Um ihren Wipfel 
schlug unsere auf dem Minarett wehende rote 
Fahne. Ein übler Geruch verbreitete sich im 
Moscheenhofe, der unsere Schritte beschleunigte, 
als wir auf die Moschee zugingen. Wir traten 
in das Heiligtum. Der Fußboden war vor 
Schmutz nicht sichtbar. Vor dem Altar war ver 
faultes Stroh aufgehäuft. Der Predigtstuhl war 
eingestürmt und halb verbrannt. Die Leuchter 
waren zerbrochen. Durch ein Feuer, das man 
in einer Ecke des heiligen Raumes angezündet 
hatte, war die Bleibedachung der Kuppel ge 
schmolzen und in diesem Zustande belasten. 
Zwei kunstvoll gearbeitete bunte Marmorstücke 
lagen zerbrochen auf dem Boden. Zwei mächtige 
große Tafeln, auf denen die heiligen Ramen 
Gottes und des Propheten verzeichnet standen, 
schauten wie zwei vorwurfsvolle Augen auf uns 
Türken herab, die wir in Unwissenheit und 
Schwäche verkommen, das Heiligtum Gottes in 
einen Stall verwandeln ließen. Und ich zittere 
vor diesen stummen, verachtungsvollen Blicken. 
Hinter mir aber zittert eine ganze Ration. Erde 
und Himmel, Menschen und Engel fühle ich 
zittern. Wenn ich die Moschee verlasse, wird 
mein Auge trübe vor Tränen. Mein Herz 
blutet und Finsternis breitet sich um mich aus. 
Wieder steigt aus dem Moscheenhof der üble 
Geruch auf. Der kleine Friedhof dicht dabei ist 
voll von Unrat und Schmutz. Wenn ich erwäge, 
daß ich viele Standquartiere der bulgarischen 
Truppen nach ihrem Rückzüge durchaus reinlich 
gehalten fand, will mir dieser in der Moschee 
aufgehäufte Schmutz als eine absichtliche, ge 
hässige Verachtung meiner Religion und unserer 
Religion erscheinen. 
Auf dem Friedhofe sind alle Grabsteine zer 
brochen. Dicht an der Tür steht mit seiner ver 
goldeten Inschrift auf grünem Grunde die 
Grabstele eines jungen Mädchens, eine Zu 
fluchtsstätte stiller Trauer. Der Kopf des Steines 
ist jetzt abgebrochen. Auf der Grabeserde liegen 
zertrümmerte Weingläser. Mein Gefühl sträubt 
sich bei einem Schauspiel, das meine Phantasie 
sich nicht vorstellen kann. Mein Verstand faßt 
nicht, daß in unserem Jahrhundert Menschen 
so bar alles Gefühles, aller Menschlichkeit sein 
können. Wenn ich die Glassplitter auf dem 
Grabe sehe, muß ich an all das Elend der 
vergewaltigten und ihrer Ehre beraubten Mo 
hammedanerinnen denken. . . Die Bulgaren 
fanden hier nicht wie in Serres und an anderen 
Orten Mazedoniens Frauen, deren Ehre sie 
antasten konnten. Sie vergriffen sich deshalb an 
den Toten. Sie zertrümmerten und schändeten 
Grabsteine. Und das taten nicht etwa die 
Banden, sondern in Europa gebildete, angeblich 
zivilisierte Offiziere des regulären Heeres . . . 
Ich schäme mich vor Gott und den Menschen, 
und mehr noch vor dieser armen Sasije Harunn, 
die hier unter der Erde schläft. Ihre reine 
Seele erhebt sich wie in Feuerflammen und ruft 
mir zu und der ganzen Ration: „Räche mich! 
Räche mich)" 
Ich trat aus dem Moscheenhof. Mein 
Körper war zu Feuer geworden, mein Geist 
und all mein Denken war Feuer. Um dieses 
Feuer zu löschen, trank ich den von Derhor 
herüberwehenden Rordwind mit der ganzen 
Kraft meiner Lungen ein. Ich bestieg mein 
Pferd und sprengte im Galopp durch die ge 
schwärzten Häuser und die weinenden, klagen 
den Trümmer von Tschataldscha. Von dem Huf 
schlag auf dem holprigen Pflaster aufgeschreckt, 
schlugen die wilden Hunde an, flohen die 
Krähen und Fledermäuse auf, und in der Wild 
nis tönte der Schrei nach Rache . . .
	        
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