Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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An der Tschataldschafront. 
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Pascha und dahinter Zelt an Zelt, Bataillon 
an Bataillon. Hier verlassen pertew Pascha 
und Ibrahim Pascha den Zug, um eine Be 
sichtigung vorzunehmen, und wir fahren langsam 
weiter, über die berühmte Brücke des Karasu, 
auf der Razim Pascha und Danew die Ver 
handlungenwegen des Waffenstillstandes führten. 
Jetzt sind wir schon in dem Gebiet, das von 
den Bulgaren besetzt war. Man sieht noch die 
von ihnen aufgeworfenen Schützengräben. An 
den Bergabhängen liegen die Ruinen von 
Mertenik Tschiflik, ein großer Trümmerhaufen, 
und jetzt ein pfiff — der Zug hält. Wir 
schauen hinaus, da liegen unten am Bahnhof 
schwere Eisenteile, verbogen und zerrissen; an 
manchen Stellen klaffen in den schweren 
Trägern Vs Meter große Löcher. Es war eine 
kleine Brücke, die von den Bulgaren gesprengt 
wurde, und jetzt müssen wir den Durchlaß auf 
einem vorläufigen Holzgestell überfahren, daher 
Vorsicht) Die Beamten der Bahn untersuchen 
nochmals das Gerüst, dann knirscht die Ma 
schine ganz langsam über das unheimlich kra 
chende Gebälk. Rechts an der Bahn sieht man 
in regelmäßigen Abständen kurze Holzstümpfe 
aus der Erde ragen; es sind die Reste der 
Telegraphenstangen. Die Erde selbst aber scheint 
mit Eierschalen bedeckt; bei näherem Zusehen 
erkennt man, daß die Eierschalen die Trümmer 
der Isolatoren darstellen, von denen anscheinend 
jeder zerschlagen wurde. So geht es langsam 
weiter; bald wieder eine zerstörte Brücke, dann 
die letzten eisernen Reste eines verbrannten 
Wagens, in der Ferne ein Riesentrümmerfeld, 
der Ort Jsedin. 
Und nun kommen wir zum Bahnhof Tscha- 
taldscha. Bahnhof ist Ironie, denn er ist nicht 
mehr vorhanden. Vier kahle, ausgebrannte 
Mauern zeigen den Platz, wo er stand; das 
nebenliegende Haus des Bahnmeisters ist in 
derselben Verfassung, der große eiserne Wasser 
behälter durchschossen und mit Bomben beworfen 
— ein Fetzen. Hinter der Bahn die großen 
Magazine und Eholerabaracken, die waren ein 
mal, jetzt sieht man nur noch wenige Grund 
pfeiler. Doch auch hier haben die Türken was 
möglich war, ausgebessert, Holzschuppen und 
Zelte sind errichtet und ersehen die Magazine 
und das Stationsgebäude. Weiter geht die 
Bahn nicht, denn von hier aus, nur ein paar 
Kilometer weiter, bei Jndzegis, da sind wieder 
die Bulgaren, und auf der Strecke bis zur 
nächsten Station sollen sie noch schlimmer ge 
haust haben. Am Bahnhof Tschataldscha er 
warten uns Pferde, und nun geht es im flotten 
Trab zu der ungefähr 1 Kilometer weit ent 
fernten Stadt. Sie ist anscheinend gut von den 
Bulgaren während deren Aufenthalt instand 
gesetzt. Die Straßenbrücken sind gesprengt, doch 
haben die Türken schnell hölzerne Behilfsbauten 
hergestellt, sind aber auch dabei, mit Hochdruck 
Stein-und Eisenbrücken herzustellen, um die schwere 
Artillerie vorwärts zu bringen. Die Stadt ist 
in zwei Teile geteilt, links der Zufahrtsstraße 
das griechische Viertel, rechts, bedeutend größer, 
die Türkenstadt. Diese war, heute besteht sie 
nicht mehr. Rur ein riesiges Trümmerfeld, aus 
dem noch einige halbeingestürzte Minarets 
herauslugen, deutet die Stelle an, wo die 
Türken wohnten. Wir wenden uns zuerst zum 
Ouartier des Kommandanten der IV. Division, 
Oberst Hassan Bey. Er wohnt in einem statt 
lichen Hause, dessen Eigentümer Thanas Pascha, 
ein Grieche, früher Generalarzt der ottomani- 
schen Armee war. Der Oberst erwartet mich 
auf der Treppe, und während wir in seinem 
Salon den üblichen Kaffee schlürfen, erscheint 
der Hausherr, ein alter Mann, fast sojährig, 
mit langem weißen Haar, „ein Philosoph" und 
großer Deutschenfreund. 
Mit Stolz zeigt er uns ein großes Bild 
der deutschen Kaiserin, umgeben von ihren 
Kindern, und im zweiten Zimmer das Bild 
Wilhelm 11. „Das ist, was uns Osmanen fehlt," 
sagt er von dem Bild der Kaiserin, „hier, dieses 
Vorbild für ein ganzes Volk. Ihre Kaiserin, 
das ist mein Stolz, und kein Türke betritt mein 
Haus, den ich nicht zu diesem Bilde führe. Und 
jedesmal erkläre ich ihnen, daß die Mutter und 
das Familienleben die Stühe eines Volkes ist, 
und zwar die Mutter, die sich der Erziehung 
ihrer Kinder und deren geistiger Bildung wid 
met." Der Oberst, der dem Gespräch beiwohnte, 
schien von dem alten Herrn schon bekehrt zu 
sein und nickte beistimmend zu. Inzwischen hatte 
sich unsere Gesellschaft vergrößert. Der griechi 
sche Pope, der Direktor und Lehrer der Schule 
und einige griechische angesehene Bürger hatten 
sich eingesunden, um uns ihre Leidensgeschichte 
unter dem kurzen Aufenthalt der Bulgaren zu 
schildern. Wenn alles wahr ist, was diese 
Zeugen erzählten, so haben die Bulgaren wie 
Wilde gehaust. Alles wurde beigetrieben ohne 
Zahlung, die benachbarten griechischen Dörfer 
Oklali und Subaschi wurden geplündert und 
zerstört und die griechischen Kirchen als Ställe 
hergerichtet. Eine ganze Litanei von Klagen 
trugen die Vertreter der griechischen Bevölkerung 
vor und dann wurde als Hauptzeuge ein junger 
Grieche hereingeführt, mit einer schweren Säbel 
wunde an der rechten Wange und Schuß 
wunden unter dem Herzen. Er erzählte gerne 
seine Leidensgeschichte, wie er noch mit fünf 
Freunden von einer bulgarischen Abteilung ver 
haftet und von jedem die Zahlung von 2 Pfund 
verlangt wurde, die aber keiner von ihnen hatte. 
Da wurde den Armen erklärt, sie seien Spione; 
man führte sie aus dem Dorf, verurteilte sie
	        
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