Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Haltung Auslands. 
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Die Haltung der französischen Regierung. 
Inzwischen suchte auch das offizielle Frank 
reich in der Hafenfrage beruhigend einzuwirken. 
Einer pariser Korrespondenz vom 2S. Rovember 
entnehmen wir das Folgende: 
Die hiesigen offiziellen Kreise haben in 
keinem Moment der politischen Krise, die Europa 
durchlebt und die im Augenblick einen wesent 
lich ruhigeren Verlauf verspricht, die Hoffnung 
auf eine friedliche Beilegung des Orientkonflikts 
aufgegeben und selbst in Tagen schwerer Be 
unruhigung Europas das Vertrauen in den bon 
sens der europäischen Mächte nicht verloren, der 
wegen eines oder zweier serbischer Häfen keine 
blutige Hinopferung von 
Menschenleben, keine 
Zerstörung des überall 
wahrnehmbaren wirt 
schaftlichen Wohlstandes 
zulassen würde. Die fran 
zösische Regierung hat 
seit Beginn der Krise 
ihren ganzen Einfluß in 
die Wagschale gelegt, 
damit der Friede Euro 
pas aus dem Balkan 
konflikt unversehrt hervor 
gehe und poincare hat 
seine ganze grosie Ver 
standeskraft und seine 
Autorität in den Dienst 
seiner Friedensliebe ge 
stellt, in der er einig ist 
mit allen Parteien der 
Republik, mit allen 
Schichten der französi 
schen Bevölkerung. Diese 
Haltung der französi 
schen Regierung und des 
Ministerpräsidenten wird 
von Europa und von 
poincares eigenem Vaterlande rückhaltlos an 
erkannt und wir sind in der Lage, die heute 
vom „Temps" ausgesprochene Meinung zu teilen, 
daß poincare sich als guter Europäer gezeigt 
hat und daß die Tripelallianz durch die Ereig 
nisse dahin geführt worden ist, ihm die gleiche 
Anerkennung zuteil werden ?u lassen, wie seine 
Alliierten und Freunde. 
Wir hatten Gelegenheit, heute und in den 
letzten Tagen Persönlichkeiten zu sprechen, die 
für die französische Politik maßgebend sind und 
Diplomaten, die den verschiedenen Mächte 
gruppierungen angehören. 
Die französischen Staatsmänner haben stets 
mit größter Aufrichtigkeit versichert, daß der 
Zweck ihrer Politik die Erhaltung des Friedens 
sei und daß sie nach allen Seiten mäßigend 
einwirken. Dies ist ohne Unterlaß geschehen und 
mit großem Erfolg, wie die Entspannung der 
Krise jetzt zeigt. (Man merkte damals diese Ent 
spannung vorerst nur in Paris!) Die französische 
Regierung war nach den öffentlichen Erklärungen 
des Grafen Berchtold und nach der diplomatischen 
Form der abgegebenen Versicherungen des Leiters 
der österreichisch-ungarischen Politik überzeugt, 
daß Österreich-Ungarn keinerlei Eroberungen ver 
folgte und daß die Monarchie nur auf die Wah 
rung ihrer Interessen ausgehe. Der Zwischenfall, 
den die Formel des „Desinteressements" ge 
schaffen hatte, wurde rasch aufgeklärt und von 
der französischen Regierung als Redaktionsver 
sehen dargestellt, der von keinerlei Hintergedanken 
beeinflußt gewesen sei. 
Die französische Regie 
rung konnte auch volles 
Vertrauen in die Politik 
des alliierten Rußland 
haben, die von Peters 
burg immer als friedlich 
dargestellt wurde. 
Die in Rußland 
maßgebenden Staats 
männer Ssasonow und 
Kokoutzew haben in Bel 
grad mäßigend einge 
wirkt. Wenn eine Zeit 
lang die Sprache der 
serbischen Staatsmänner 
unvorsichtig, ja provo 
zierend war, so wird das 
hier vielfach dem Ein 
flüsse des russischen Ge 
sandten in Belgrad, Herrn 
v. Hartwig, zugeschrie 
ben, der, wie in Paris 
erzählt wird, zu den in 
der Geschichte bekannten 
russischen Diplomaten ge 
hört, die geneigt sind, 
die Politik des inoffiziellen Rußland M machen. 
Ssasonow hat im September in Paris ein gutes 
Wort über die Rationalisten geprägt: Das sind 
Generale ohne Armee. Diese Generale finden 
oft Diplomaten. 
Ein solcher Diplomat war bis vor kurzem Herr 
v. Hartwig. Wir sagen bis vor kurzem, weil er 
seit 2 Wochen unter dem Druck seiner offiziellen 
Regierung abgewiegelt haben soll. Es kann auf 
Grund authentischer Mitteilungen versichert wer 
den, daß man über die Haltung Hartwigs weder 
in Petersburg noch in Paris entzückt war. Das 
russische Kabinett mußte in seiner Friedensliebe 
die Haltung Hartwigs ändern, die sich nicht 
bloß in Interviews, sondern auch in seinem 
Verkehr mit der serbischen Regierung weit von 
der Linie der ofstziellen russischen Politik entfernt 
Der serbische Delegierte Aovakovic.
	        
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