Die Haltung Auslands.
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Die Haltung der französischen Regierung.
Inzwischen suchte auch das offizielle Frank
reich in der Hafenfrage beruhigend einzuwirken.
Einer pariser Korrespondenz vom 2S. Rovember
entnehmen wir das Folgende:
Die hiesigen offiziellen Kreise haben in
keinem Moment der politischen Krise, die Europa
durchlebt und die im Augenblick einen wesent
lich ruhigeren Verlauf verspricht, die Hoffnung
auf eine friedliche Beilegung des Orientkonflikts
aufgegeben und selbst in Tagen schwerer Be
unruhigung Europas das Vertrauen in den bon
sens der europäischen Mächte nicht verloren, der
wegen eines oder zweier serbischer Häfen keine
blutige Hinopferung von
Menschenleben, keine
Zerstörung des überall
wahrnehmbaren wirt
schaftlichen Wohlstandes
zulassen würde. Die fran
zösische Regierung hat
seit Beginn der Krise
ihren ganzen Einfluß in
die Wagschale gelegt,
damit der Friede Euro
pas aus dem Balkan
konflikt unversehrt hervor
gehe und poincare hat
seine ganze grosie Ver
standeskraft und seine
Autorität in den Dienst
seiner Friedensliebe ge
stellt, in der er einig ist
mit allen Parteien der
Republik, mit allen
Schichten der französi
schen Bevölkerung. Diese
Haltung der französi
schen Regierung und des
Ministerpräsidenten wird
von Europa und von
poincares eigenem Vaterlande rückhaltlos an
erkannt und wir sind in der Lage, die heute
vom „Temps" ausgesprochene Meinung zu teilen,
daß poincare sich als guter Europäer gezeigt
hat und daß die Tripelallianz durch die Ereig
nisse dahin geführt worden ist, ihm die gleiche
Anerkennung zuteil werden ?u lassen, wie seine
Alliierten und Freunde.
Wir hatten Gelegenheit, heute und in den
letzten Tagen Persönlichkeiten zu sprechen, die
für die französische Politik maßgebend sind und
Diplomaten, die den verschiedenen Mächte
gruppierungen angehören.
Die französischen Staatsmänner haben stets
mit größter Aufrichtigkeit versichert, daß der
Zweck ihrer Politik die Erhaltung des Friedens
sei und daß sie nach allen Seiten mäßigend
einwirken. Dies ist ohne Unterlaß geschehen und
mit großem Erfolg, wie die Entspannung der
Krise jetzt zeigt. (Man merkte damals diese Ent
spannung vorerst nur in Paris!) Die französische
Regierung war nach den öffentlichen Erklärungen
des Grafen Berchtold und nach der diplomatischen
Form der abgegebenen Versicherungen des Leiters
der österreichisch-ungarischen Politik überzeugt,
daß Österreich-Ungarn keinerlei Eroberungen ver
folgte und daß die Monarchie nur auf die Wah
rung ihrer Interessen ausgehe. Der Zwischenfall,
den die Formel des „Desinteressements" ge
schaffen hatte, wurde rasch aufgeklärt und von
der französischen Regierung als Redaktionsver
sehen dargestellt, der von keinerlei Hintergedanken
beeinflußt gewesen sei.
Die französische Regie
rung konnte auch volles
Vertrauen in die Politik
des alliierten Rußland
haben, die von Peters
burg immer als friedlich
dargestellt wurde.
Die in Rußland
maßgebenden Staats
männer Ssasonow und
Kokoutzew haben in Bel
grad mäßigend einge
wirkt. Wenn eine Zeit
lang die Sprache der
serbischen Staatsmänner
unvorsichtig, ja provo
zierend war, so wird das
hier vielfach dem Ein
flüsse des russischen Ge
sandten in Belgrad, Herrn
v. Hartwig, zugeschrie
ben, der, wie in Paris
erzählt wird, zu den in
der Geschichte bekannten
russischen Diplomaten ge
hört, die geneigt sind,
die Politik des inoffiziellen Rußland M machen.
Ssasonow hat im September in Paris ein gutes
Wort über die Rationalisten geprägt: Das sind
Generale ohne Armee. Diese Generale finden
oft Diplomaten.
Ein solcher Diplomat war bis vor kurzem Herr
v. Hartwig. Wir sagen bis vor kurzem, weil er
seit 2 Wochen unter dem Druck seiner offiziellen
Regierung abgewiegelt haben soll. Es kann auf
Grund authentischer Mitteilungen versichert wer
den, daß man über die Haltung Hartwigs weder
in Petersburg noch in Paris entzückt war. Das
russische Kabinett mußte in seiner Friedensliebe
die Haltung Hartwigs ändern, die sich nicht
bloß in Interviews, sondern auch in seinem
Verkehr mit der serbischen Regierung weit von
der Linie der ofstziellen russischen Politik entfernt
Der serbische Delegierte Aovakovic.