Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Fortsetzung der Operationen auf dem östlichen Kriegsschauplatz. 
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Opfer entschädigt, die ihnen der Krieg ge 
kostet hat. 
Unruhe erregt hier die noch immer in der 
Schwebe befindliche albanesische Frage. Man 
hatte gehofft, die Botschafterkonferenz würde 
sich in ihrer letzten Sitzung mit der Grenzbe- 
stimmung des zukünftigen Albanien beschäftigen. 
Die Sache ist aber wieder hinausgeschoben 
worden, bis Mischen Österreich und Rußland 
alle Schwierigkeiten aus dem Wege geräumt 
sind. Unterdessen hat die griechische Armee nörd 
lich von Janina ein erfolgreiches Treffen mit 
dem Feinde gehabt und ist dadurch in den Be 
sitz der Stadt Korica gelangt. Janina ist so 
noch enger umzingelt und man spricht die Hoff 
nung aus, daß sich die Garnison über kurz oder 
lang ergeben wird. 
* * * 
Cs ist zunächst natürlich fraglich, ob die 
Geschichte mit den versunkenen bulgarischen 
Kanonen der Wahrheit entspricht. Die Bulgaren 
hatten es mit dem Waffenstillstand sehr eilig, 
ob aber gerade dieser Grund für sie maßgebend 
war, oder die Erkenntnis, daß sie vor Tscha- 
taldscha nur sehr mühsam vorwärtskommen könn 
ten, das must dahingestellt bleiben. Interessant 
ist, dast die guten Freunde der Bulgaren, die 
Griechen, solche Dinge schadenfroh ausplauder 
ten, und noch interessanter, dast man bereits 
anfangs März wieder an neue Friedensverhand 
lungen sehr ernsthaft dachte. 
Uber die Kriegsereignisse bis gegen Ende 
Februar berichtete der Konstantinopler Korre 
spondent der „Reuen Freien Presse" unterm 
22. Februar: 
Heute vor einem Monat hat das jungtür 
kische Komitee durch den Handstreich Enver Beys 
das Friedensinstrument der Großmächte und des 
Kabinetts Kiamil zerrissen und mit der Lösung 
„Keinen Frieden ohne Adrianopell" aufs neue 
die erlöschende Kriegsfackel entzündet. Wie um 
etwaigen Zweifel an dem heiligen Ernste dieses 
„Sieg oder Tod "-Programms zu zerstreuen, soll 
das osmanische Heer soeben unter den Auspi 
zien des Grostwesirs Mahmud Schefket Pascha 
die Offensive gegen die feindlichen Schanzen 
bei Bulair eröffnet haben. Wird sie dem ver 
zweifelt um sein europäisches Patrimonium rin 
genden Osmanenreiche den ersehnten ehrenvollen 
Frieden bringen? 
Ihr Korrespondent hatte gestern Gelegenheit, 
die unumwundene Meinung eines Diplomaten 
über diese Frage zu hören. „Was ich glaube? 
— Glauben wir lieber gar nichts) Es kommt 
ja doch immer anders. Als die Bulgaren vor 
Tschataldscha standen, da hieß es: Jetzt ist es 
aus mit dem Kriege, denn das türkische Heer 
ist fertig 1 Und heute? Sahen wir nicht staunend, 
Baltantrieg. II. 
wie die Türkei während des langen Waffen 
stillstandes ein neues Heer aus dem Boden 
stampfte, stärker und besser organisiert, als je 
zuvor; gut ausgerüstet und verpflegt und vor 
allem von einem neuen Geiste beseelt) Wenn 
auch Adrianopel vielleicht nicht mehr zu befreien 
ist — die Ehre des türkischen Heeres ist jeden 
falls gerettet. Die glänzende Verteidigung Sku- 
taris und Janinas ist noch bewundernswerter 
als jene Adrianopels, weil sie sich nicht, wie 
man häufig glaubt, auf eine reine Defensive 
beschränken, sondern in fortwährenden Ausfällen 
empfindliche Schläge gegen die Belagerer führen. 
Und vollends dieser Djavid Pascha) Dieses ge 
radezu sagenhafte Armeekorps, das man vor 
Janina längst aufgerieben wähnte, rührt sich 
noch immer) Es ist weder gefangen noch bela 
gert; man kann sich zwar gar nicht vorstellen, 
wovon es in all den Monaten mitten zwischen 
den feindlichen Armeen Griechenlands und Ser 
biens in den unwirtlichen Bergen gelebt hat, 
aber es ist zweifellos vorhanden." Tatsächlich 
konnte ich seinerzeit melden, dast Djavid Pascha 
die Ufer des Trespasees besetzte und bereits das 
„serbische" Monastir bedroht) (Das waren tür 
kische Irrtümer!) 
Der auf der thrazischen Hochebene erst um 
diese Jahreszeit mit vollem Grimm einsetzende 
Winterfrost scheint freilich die türkische Ostarmee 
härter zu treffen als ihre Gegner. Während 
diese sich langsam in eine ganze Anzahl von 
den Türken auf dem Rückzüge verschonter 
Städte und Dörfer, wie Tschorlu, Sinekli, 
Lüle Burgas, Muradli, Dimotika usw. kon 
zentrieren, findet die türkische Ostarmee in lang 
samem Rachrücken westlich von dem einzig ver 
schont gebliebenen Griechenviertel Tschataldschas 
nichts als grauenvoll verwüstetes Land, bis auf 
den Grund niedergebrannte Dörfer und Ge 
höfte, die gegen die wütenden Schneestürme 
keinen Schuh gewähren. Mit freudigem Stau 
nen begrüßen die türkischen Soldaten die 
wenigen unzerstört gebliebenen Erdhöhlen, in 
denen die Bulgaren sich während des Waffen 
stillstandes wohlig eingewühlt hatten, indessen 
der Türke, mit solcher Technik anscheinend 
wenig vertraut, in offenen Schützengräben und 
Zeltlagern den Regenfluten und Winter- 
stürmen trotzte, so lange er eben stilliegen 
durfte. 
Jetzt aber heißt es vorwärts, sich dicht am 
Feinde halten. Man hat zwar keine Eisenbahn, 
aber die Sumpfwege sind hart gefroren und da 
scheint ein neues, unvorhergesehenes Elend zu 
beginnen. Man spricht von fast 800 Soldaten, 
die in den letzten zwei Frostnächten bei einer Kälte 
bis zu 20 Grad Celsius erfroren aufgefunden 
wurden, weil es seit Wochen an Brennmaterial 
und warmer Rührung fehlt) Alles Holz und 
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