Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Fortsetzung der Operationen aus dem östlichen Kriegsschauplatz. 
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in Gallipoli selbst das Wasser gefror, wo star 
ker, sturmartiger Vordwind mit Schneegestöber 
herrschte, waren die Leute nur mit einem faden 
scheinigen Mantel bekleidet, ohne Kohlen und 
Hol), ohne Stroh oder Decke. 
Memals würde ich diese Zustände glauben, 
wenn sie mir geschildert worden wären, aber ich 
habe sie selbst erlebt, bin selbst ein Leidtragen 
der gewesen. 
Was nun die „Ausladung" selbst betrifft, 
so herrschte bei derselben ebenfalls eine beispiel 
lose Unordnung. Memand leitete sie, aber jeder 
kommandierte, alles schrie und brüllte durch 
einander, endlose Zeit ging vorüber, ehe sich ein 
Knäuel entwickelte oder das erste Pferd aus 
dem Schlund des Schiffes herausgezogen wurde, 
mit dem Kopf oder Hinterteil an den Schiffs 
rumpf anschlagend. Wehe denen, deren Füße 
bei dem unruhigen Seegang Mischen dem tan 
kenden Leichterschiff und den Wänden des 
Transportdampfers eingequetscht wurden! Sie 
konnten ihren Schmer) nicht äußern, aber ihre 
Lichter zeugten von ihren Oualen. So wurden 
etwa 15 Pferde in jedes Leichterschiff verladen, 
da)u Sättel und Soldaten — aber keine Ver 
pflegung, keine Fourage. 
5 Leichterschiffe wurden so mit je 15 Pfer 
den beladen, die nun von einem kleinen Schlepp 
dampfer an den Kai geführt und ausgeladen 
werden. Ein Bild des Jammers waren diese 
verhungerten, durstleidenden, ^erschundenen Pferde. 
Die Ausladung dauerte 3 Stunden. Die Leichter 
kehrten )um Dampfer zurück und dieselben grauen 
erregenden Vorgänge wiederholten sich. Tote 
Pferde werden auf Deck gewunden, ein Stoß, 
und die Kadaver schwimmen, verfolgt von Mö 
wen, im Wasser davon. 
Wird dann der Seegang hoch, so kommt 
kein Dampfer, kein Boot an die Transport 
dampfer heran. Was nützen auch alle Zeichen 
vom Schiff: „Wir leiden Hunger, schickt Lebens 
mittel, Brot und Wasser!" Memand rührt sich, 
jeder ist froh, sich drücken )u können. Alte, ver 
schimmelte Tabletten, aufgeweicht und wieder 
erwärmt, sind auch eine Kost, die nährt, wenn 
man nichts anderes hat. 
Wie lange dauert nun das Ausladen eines 
Schiffes im günstigsten Falle bei 400 Pferden 
und 2000 Mann? Für 400 Pferde sind 6 Fahr 
ten mit je 5 Leichterschiffen erforderlich. Jede 
Fahrt dauert 4 Stunden = 24 Stunden, jeder 
Tag hat 8 Arbeitsstunden (von 6 Uhr vormit 
tags bis 5 Uhr nachmittags) also sind 400 Pferde 
in 3 Tagen an Land gebracht. Vehmen wir 
an, daß mit diesen 6 Fahrten etwa 450 Mann 
befördert sind, so bleiben noch 1520 Mann an 
Bord, für die noch 4 Fahrten nötig sind, also 
etwa 6 Stunden, d. h. 1 Tag. 7hm kommt 
noch hin)u die Verpflegung, Fourage, Munition, 
die Wagen usw. Es ist nicht )u hoch gerechnet, 
wenn ich 7 bis 8 Tage für die Entleerung 
eines solchen Schiffes für notwendig halte — 
wenn alles glatt geht und keine Störung durch 
Witterung oder Mangel an Transportmitteln 
eintritt. Aus Hindernisse aber muß man sich 
bei dem geringen Überblick in der ottomanischen 
Armee, bei dem Unverstand in allen Anord 
nungen gefaßt machen. 
Dies ein Teil meiner Erlebnisse an Bord 
eines Transportdampfers, der seit 36 Tagen 
mit Fracht für das Schwarte Meer an Bord 
im Dienste der Armee verwendet wird. Die ge 
ladenen Waren sind teilweise verfault und dem 
Meere übergeben worden. Der gan)e Dampfer 
ist durch die Truppen zerstört; die Planken sind 
abgerissen, Schlösser zerstört usw. Etwa 30 sol 
cher Dampfer, größere oder kleinere liegen vor 
Gallipoli im Hafen (am 18. Februar) und 
sollen entleert werden. Seit 15 Tagen sind sie 
wahre Greuelkammern. 
Und Mischen all diesem Elend liegt der 
„Gül Gemal" mit Oberstleutnant Enver Bey 
an Bord. Und Mischen all diesem Elend liegt 
als stummer Zeuge ein Torpedoboot. 
Die Ausladungen wurden am 26. Februar 
(nach 21 Tagen) größtenteils beendet, und der 
„Gül Gemal" mit dem Allmächtigen an Bord 
hat sich mit den entladenen Schiffen heute früh 
nach den Dardanellen begeben )u neuen Taten. 
Vach dieser keineswegs sehr günstigen Schil 
derung der türkischen Truppenlandungen auf 
Gallipoli sei der Vollständigkeit halber auch 
eingereiht, was ein Athener Korrespondent An 
fang Mär), also noch vor dem Fall von Ianina, 
den „Leip)iger Veuesten Vachrichten" schreibt. 
Wir lesen in dem genannten Blatt: 
Der Winter ist von jeher ein Faktor des Frie 
dens gewesen. Wer weiß, ob die Lage der Dinge 
gegenwärtig besser wäre, wenn wir unter den 
Strahlen der warmen Frühlingssonne oder mitten 
in den heißen Sommermonaten ständen. Europa 
hat letzthin eine äußerst kritische Periode durch 
gemacht; die Friedliebenden haben daher die 
besten Gründe, das Da)wischenkommen von 
Schnee und Kälte )u segnen, denn diese Ele 
mente rufen fast stets ein konservatives Denken 
und Handeln hervor. Wenn sich )wei Armeen 
wie die österreichische und die russische gegen 
überstehen, muß auch mit der Iahres)eit ge 
rechnet werden, und es ist nicht unwahrscheinlich, 
daß diese da)u beigetragen hat, die Dinge in 
ein friedlicheres, versöhnlicheres Gleis )u bringen 
und die Regierung )u veranlassen, die Sachlage 
nüchterner^betrachten. In Hinsichtauf denBalkan 
ist der Winter aber ohne Zweifel türkenfreund 
lich gesinnt, denn wenn er nicht mit aller Macht
	        
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