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Die Fortsetzung der Belagerung von Skutari.
den. Der Hotelbesitzer erwiderte höflich, das tue
ihm leid, aber wenn er die Fahne eingehe, sei
er in gleicher Lage. Darauf schickte Aya Bey
eine kleine Abteilung Soldaten zur Verstärkung
des Befehls, dazu die Erlaubnis, die Fahne
Tag und Nacht nur nicht während der Be
schießung auf dem Dache zu lassen. Hierauf
antwortete der Hotelbesitzer, darauf ginge er ein
— nur umgekehrt. Der Führer der Truppenab
teilung drohte nun, er hätte Befehl, das Ein
ziehen der Fahne zu erzwingen, sonst ... Er
bekam aber zur Antwort: ..Niemand wird die
Fahne berühren. Der österreichische Konsul hat
sie mir gegeben und nur von ihm nehme ich
Befehle an." Damit verließ er das Zimmer.
Als er zurückkam, wehte die Fahne noch auf
seinem Hause, aber Aya Beys Abgesandte
waren verschwunden.
Guelfo Civinini, ein anderer italienischer
Kriegsberichterstatter, war durch das Entgegen
kommen der serbischen Offyiere in den Aeihen
der Belagerer bis in die vordersten Laufgräben
gelangt und berichtete darüber merkwürdige Dinge:
Da Freund und Feind einander so nahe
sind, benutzten sie die Gelegenheit, nicht nur
Kugeln, sondern auch Meinungen und Pro
viant zu wechseln. Manchmal plaudert man ge
mütlich, zu anderen Zeiten wieder ergeht man
sich in erbitterten Schmähungen. Das geht recht
gut, weil viele Türken serbisch und montene
grinisch und zahlreiche Belagerer türkisch sprechen.
In einem Laufgraben auf montenegrinischer
Seite gebrach es an Brot, während die Türken
in ihren Laufgräben kein Fleisch hatten. Als
bald beginnt man zu verhandeln und nach
kurzem Mortwechsel wird ein kurzer (sehr
kurzer!) Waffenstillstand geschlossen. Zwei Türken
kommen aus dem sicheren Schutz des Lauf
grabens. Auch zwei Kämpfer Montenegros
trennen sich von den ihren. Brot wird gegen
Fleisch ausgetauscht und dann kehrt man fried
lich zurück, um alsbald die Feindseligkeiten
wieder aufzunehmen.
Ein anderer Vorfall der Art: Ein Monte
negriner redet einen Türken an: ..Nun, wie
gehts?" — „Mir ginge es besser, wenn ich
eine Jigarrette hätte." — „Ich habe eine!", ist
die Antwort, „hole sie Dir!" — „Wenn du
mir versprichst, nicht zu schießen, komme ich."
— „Einverstanden!" Der Türke überlegt noch
ein wenig, aber die Aussicht auf eine Zigarette
lockt zu sehr. Er kommt hinter der schützenden
Erde hervor, geht zum Laufgraben der Monte
negriner, erhält wirklich eine Zigarette von
seinem Feinde und kehrt wieder um. Er hat
dabei aber nicht bedacht, daß er seine Ab
machung, daß nicht geschossen wird, nur mit
einem Laufgraben getroffen hat. Natürlich wird
von allen anderen Gräben her gefeuert.
Zu anderen Zeiten, wenn die Stimmung
der Belagerer schlecht ist, hört man die blumen
reichsten orientalischen Beleidigungen, die über
Entfernungen von 50 Metern mit Stentorstimme
geschleudert werden. In der Nacht, in welcher
der Italiener im Lager der Belagerer erschien,
war wegen des schlechten Wetters auch die
Stimmung der Soldaten schlecht und es regnete
förmlich beleidigende Zurufe.
* * *
Das Idyllische war aber doch wohl sehr
selten in diesem mit barbarischer Mildheit ge
führten Kriege. In Skutari, der belagerten
Stadt, herrschte der Hunger und auch der
Mord ging um.
Die Ermordung Hassan Aizas.
In Skutari kommandierten Haffan Aiza
und Effad Pascha Toptani, ein Türke und ein
Albanese. Effad Pascha Toptani, nicht zu ver
wechseln mit dem Verteidiger von Janina, hatte
sich kurz vor der Umschließung aus Nord-
albanien mit einer größeren Zahl von Milyen
nach Skutari geworfen, wo Haffan Aya die
Garnison kommandierte. Die Beziehungen zwi
schen den beiden schienen sich nicht allzu freund
lich gestaltet zu haben,- es ist notwendig über
die Persönlichkeiten der beiden einiges zu sagen.
Jmhoff Pascha, der Hassan Aiza und Effad
Pascha Toptani persönlich kannte, schrieb nach
der Einschließung von Skutari über die beiden:
Hassan Aiza Bey, der Leiter der Verteidi
gung von Skutari, Oberst, etwa 40 Jahre alt,
ist der Sohn von Namuk Pascha, der zuletzt
Generalgouverneur von Bagdad war. In Kon
stantinopel geboren und 1889 in den Dienst ge
treten, absolvierte der Bey die Militär- und
Generalstabsschule mit hervorragendem Erfolge,
wurde dann mit der fünften Aate der von der
Türkei entsandten Offiziere 1908 nach Deutsch
land kommandiert, tat beim Aegiment 145 in
Metz Dienst und wurde nach seiner Aückkehr
als Lehrer an den Schulen, sowie im General
stabe verwendet, und schon 1903 zum Ferik
(Divisionskommandeur) befördert.
Nach der Aevolution begleitete er Nazim
Pascha als Stabschef des zweiten Ordus nach
Adrianopel und wirkte dort auch nach Nazims
Ersatz durch Abdullah Pascha anregend und
fruchtbar im Kameradenkreise und Dienste.
Durch das Gesetz betreffs Ausgleichung der
Offiziersgrade wurde Aiza Pascha wieder
Oberstleutnant und Bey. Nazim Pascha, der
nach Bagdad zur Aegelung der dortigen äußerst
schwierigen Verhältnisse auserwählt war, nahm
ihn als Stabschef wieder mit, wobei Haffan
Aiza wieder Oberst wurde. Im fernen Osten