Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Einnahme von Ianina. 
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Der Divisionskommandeur Oberst Dschelal Bey 
)um Beispiel kam direkt aus Bagdad; er suchte 
wie verzweifelt auf dem Schlachtfelde von Gri- 
bowa seine Division, die er hier zum erstenmal 
sehen sollte; der Kommandeur des albanesischen 
Permeti-Bataillons, Major Mehmed Ali Bey, 
kommt von Saloniki und sucht auf dem Kampf 
plätze sein Bataillon; Stabsoffiziere, Offiziere 
aller Waffengattungen, Sanitätsoffiziere, Unter 
offiziere, Mannschaften treffen täglich ein und 
alle suchen verzweifelt ihre Truppenteile, die 
mitten im Kampfe stehen. 
Bor dem Kriege sind die ausgedienten 
Mannschaften entlassen worden, so das) manche 
Bataillone mit nur 50 Mann in den Krieg 
ausgewogen sind; das selbständige Armeekorps 
von Janina hatte nur einen Bestand von 4000 
Mann, mit denen man ausgewogen war, um 
die Griechen aufwuhalten und damit dem 
Festungskommandanten Vehib Bey Zeit wu 
verschaffen, die Feldbefestigungen Herwustellen. 
Dem General Essad Pascha gelang diese Auf 
gabe glänwend; als die Griechen vor Janina 
kamen, waren die Feldbefestigungen so weit 
vorgeschritten, das) man an einen ernstlichen 
Widerstand denken konnte. 
Bei den meisten Offizieren ist die Initiative 
gleich Aull, die Ausbildung verschieden, neben 
hochbegabten Offizieren gibt es solche, die des 
Schreibens und Lesens unkundig sind. Ein 
gutes Beispiel haben aber ihren Leuten fast 
alle Offiziere gegeben. Da war Kiasim Effendi, 
Hauptmann und Batteriechef, der schwerver 
wundet, dem Tode nahe, sein Grab neben 
seiner Batterie graben läßt und den Komman 
danten bittet, ihn dort begraben zu lassen. Ein 
anderer Batteriechef, Ata Effendi, wurde am 
Kopfe, an der Brust und an den Beinen schwer 
verwundet; fast bewußtlos wird er davon 
getragen; als man ihn wegträgt, ist seine erste 
Frage, ob seine Batterie noch feuern könne. 
Der Kommandant von pisani, Major Fuad 
Bey, früher Militärattache in Rom wird am 
Oberschenkel verwundet; er weigert sich, ins 
Lazarett gebracht zu werden, und gibt seine 
Befehle von der Tragbahre aus, auf der er sich 
hinaustragen läßt. Oberleutnant Sabri Effendi 
steht ohne Deckung im stärksten feindlichen Feuer 
hinter seiner Batterie; er zeichnet jeden Schuß 
in die Schießliste mit einer bewundernswerten 
Kaltblütigkeit ein. 
General Djavid Pascha fragte seine Sol 
daten: „Kameraden, bin ich ein Regiment wert?" 
„Ja, General, Sie sind esl" 
„Gut, Kinder, ihr seit ein Regiment, ich 
bin auch eines, das macht zwei, da oben stehen 
Zwei feindliche Regimenter. Vorwärts, marschl 
Werft sie hinunter." 
Das Regiment, es war das 63. Infanterie 
regiment, 1200 Mann stark, stürmt viermal die 
Stellung bei Manoliassa, nimmt sie viermal ein, 
wird viermal hinuntergeworfen, kann sich aber 
beim fünftenmal behaupten; nur noch 50 Mann 
sind übrig, der Rest liegt tot oder sterbend auf 
den kalten Steinen, der General Djavid Pascha 
selbst ist gefallen, der Generalstabschef Emin 
Bey verwundet. Das Regiment hat sich mit 
Ruhm bedeckt. 
Die Anzahl der gefallenen Offiziere in 
Janina beträgt 450, größtenteils junge Leut 
nants. — Politik hat der Festungskommandant 
Vehib Bey im Offizierskorps nie geduldet; 
jeder mit Parteipolitik sich beschäftigende Offizier 
wurde aus dem Festungsbereich ausgewiesen. 
Vehib Bey ist ein Mann mit eisernem Willen 
und mit einer eisernen Hand, aus seinen Augen 
sprüht Energie, er war die Seele der ganzen 
Verteidigung, er hat die Festung aus dem Richts 
geschaffen und mit den unzureichendsten Mitteln 
während 4 Monaten ohne Waffenstillstand ge 
halten, er hat Ordnung und Jucht in der 
Stadt aufrecht erhalten, er ließ Meuterer und 
Plünderer unbarmherzig erschießen oder aus 
peitschen und war immer an den exponiertesten 
Stellen mit seinem ganzen Stabe anwesend. 
Ihm gebührt das ganze Verdienst, eine in jeder 
Hinsicht ungenügend ausgerüstete provisorische 
Feldbefestigung einem fünffach gut ausgerüsteten 
und wohlgenährten Feinde gegenüber so lange 
mit einer ausgehungerten und kranken Besatzung 
Zu halten. Die Verpflegung war äußerst mangel 
haft, die Soldaten bekamen täglich je 260 Gramm 
Maisbrot und wöchentlich dreimal Fleisch zu je 
50 Gramm. Die Gehalte waren seit Ansang 
Dezember nicht bezahlt worden. Typhus, 
Dysenterie und Erfrierungen waren auf der 
Tagesordnung. In einer besonders kalten Rächt 
erfroren 460 Mann die Glieder an Füßen und 
Händen; die Kälte betrug damals in der Rächt 
)0 Grad Celsius. 
Vom langen Stehen in den Schützengräben 
hatten fast alle Leute geschwollene Füße und 
konnten sich kaum vorwärts bewegen; ihr Gang 
war schleppend und mühselig, die eingefallenen 
Gesichter waren gelb und schmutzig, und wir 
mußten den Leuten lachende Gesichter zeigen 
und ihnen von erdachten Siegen in Thrazien 
erzählen, um ihren Mut und Widerstand zu 
stärken. 
Viele Leute zogen den krepierten Pferden 
und Lasttieren die Haut von den stinkenden 
Leibern ab, um ihre Füße zu umwickeln und 
sich damit vor Kälte zu schützen; andere 
sammelten aus Hunger Gras und starben dann 
an Vergiftung unter schrecklichen Bauchschmerzen. 
Der Chefarzt Dr. Suleiman Ruman Bey hatte 
den Sanitätsdienst hervorragend organisiert; 
anfangs ging auch alles sehr gut, als aber
	        
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