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Die Einnahme von Ianina.
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Der Divisionskommandeur Oberst Dschelal Bey
)um Beispiel kam direkt aus Bagdad; er suchte
wie verzweifelt auf dem Schlachtfelde von Gri-
bowa seine Division, die er hier zum erstenmal
sehen sollte; der Kommandeur des albanesischen
Permeti-Bataillons, Major Mehmed Ali Bey,
kommt von Saloniki und sucht auf dem Kampf
plätze sein Bataillon; Stabsoffiziere, Offiziere
aller Waffengattungen, Sanitätsoffiziere, Unter
offiziere, Mannschaften treffen täglich ein und
alle suchen verzweifelt ihre Truppenteile, die
mitten im Kampfe stehen.
Bor dem Kriege sind die ausgedienten
Mannschaften entlassen worden, so das) manche
Bataillone mit nur 50 Mann in den Krieg
ausgewogen sind; das selbständige Armeekorps
von Janina hatte nur einen Bestand von 4000
Mann, mit denen man ausgewogen war, um
die Griechen aufwuhalten und damit dem
Festungskommandanten Vehib Bey Zeit wu
verschaffen, die Feldbefestigungen Herwustellen.
Dem General Essad Pascha gelang diese Auf
gabe glänwend; als die Griechen vor Janina
kamen, waren die Feldbefestigungen so weit
vorgeschritten, das) man an einen ernstlichen
Widerstand denken konnte.
Bei den meisten Offizieren ist die Initiative
gleich Aull, die Ausbildung verschieden, neben
hochbegabten Offizieren gibt es solche, die des
Schreibens und Lesens unkundig sind. Ein
gutes Beispiel haben aber ihren Leuten fast
alle Offiziere gegeben. Da war Kiasim Effendi,
Hauptmann und Batteriechef, der schwerver
wundet, dem Tode nahe, sein Grab neben
seiner Batterie graben läßt und den Komman
danten bittet, ihn dort begraben zu lassen. Ein
anderer Batteriechef, Ata Effendi, wurde am
Kopfe, an der Brust und an den Beinen schwer
verwundet; fast bewußtlos wird er davon
getragen; als man ihn wegträgt, ist seine erste
Frage, ob seine Batterie noch feuern könne.
Der Kommandant von pisani, Major Fuad
Bey, früher Militärattache in Rom wird am
Oberschenkel verwundet; er weigert sich, ins
Lazarett gebracht zu werden, und gibt seine
Befehle von der Tragbahre aus, auf der er sich
hinaustragen läßt. Oberleutnant Sabri Effendi
steht ohne Deckung im stärksten feindlichen Feuer
hinter seiner Batterie; er zeichnet jeden Schuß
in die Schießliste mit einer bewundernswerten
Kaltblütigkeit ein.
General Djavid Pascha fragte seine Sol
daten: „Kameraden, bin ich ein Regiment wert?"
„Ja, General, Sie sind esl"
„Gut, Kinder, ihr seit ein Regiment, ich
bin auch eines, das macht zwei, da oben stehen
Zwei feindliche Regimenter. Vorwärts, marschl
Werft sie hinunter."
Das Regiment, es war das 63. Infanterie
regiment, 1200 Mann stark, stürmt viermal die
Stellung bei Manoliassa, nimmt sie viermal ein,
wird viermal hinuntergeworfen, kann sich aber
beim fünftenmal behaupten; nur noch 50 Mann
sind übrig, der Rest liegt tot oder sterbend auf
den kalten Steinen, der General Djavid Pascha
selbst ist gefallen, der Generalstabschef Emin
Bey verwundet. Das Regiment hat sich mit
Ruhm bedeckt.
Die Anzahl der gefallenen Offiziere in
Janina beträgt 450, größtenteils junge Leut
nants. — Politik hat der Festungskommandant
Vehib Bey im Offizierskorps nie geduldet;
jeder mit Parteipolitik sich beschäftigende Offizier
wurde aus dem Festungsbereich ausgewiesen.
Vehib Bey ist ein Mann mit eisernem Willen
und mit einer eisernen Hand, aus seinen Augen
sprüht Energie, er war die Seele der ganzen
Verteidigung, er hat die Festung aus dem Richts
geschaffen und mit den unzureichendsten Mitteln
während 4 Monaten ohne Waffenstillstand ge
halten, er hat Ordnung und Jucht in der
Stadt aufrecht erhalten, er ließ Meuterer und
Plünderer unbarmherzig erschießen oder aus
peitschen und war immer an den exponiertesten
Stellen mit seinem ganzen Stabe anwesend.
Ihm gebührt das ganze Verdienst, eine in jeder
Hinsicht ungenügend ausgerüstete provisorische
Feldbefestigung einem fünffach gut ausgerüsteten
und wohlgenährten Feinde gegenüber so lange
mit einer ausgehungerten und kranken Besatzung
Zu halten. Die Verpflegung war äußerst mangel
haft, die Soldaten bekamen täglich je 260 Gramm
Maisbrot und wöchentlich dreimal Fleisch zu je
50 Gramm. Die Gehalte waren seit Ansang
Dezember nicht bezahlt worden. Typhus,
Dysenterie und Erfrierungen waren auf der
Tagesordnung. In einer besonders kalten Rächt
erfroren 460 Mann die Glieder an Füßen und
Händen; die Kälte betrug damals in der Rächt
)0 Grad Celsius.
Vom langen Stehen in den Schützengräben
hatten fast alle Leute geschwollene Füße und
konnten sich kaum vorwärts bewegen; ihr Gang
war schleppend und mühselig, die eingefallenen
Gesichter waren gelb und schmutzig, und wir
mußten den Leuten lachende Gesichter zeigen
und ihnen von erdachten Siegen in Thrazien
erzählen, um ihren Mut und Widerstand zu
stärken.
Viele Leute zogen den krepierten Pferden
und Lasttieren die Haut von den stinkenden
Leibern ab, um ihre Füße zu umwickeln und
sich damit vor Kälte zu schützen; andere
sammelten aus Hunger Gras und starben dann
an Vergiftung unter schrecklichen Bauchschmerzen.
Der Chefarzt Dr. Suleiman Ruman Bey hatte
den Sanitätsdienst hervorragend organisiert;
anfangs ging auch alles sehr gut, als aber