Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Stimmung in Konstantinopel nach dem Wiederausbruch des Krieges. 
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so hat die türkische Ration damit sich selbst be 
zwungen. Sie hat das ergänzt, was ihr fehlte, 
nämlich der starke Mille, ohne den das gute 
9er) zur Rettung des Vaterlandes nicht aus 
reicht. 
Unterm 8. Februar schrieb man der „Kölni 
schen Zeitung" aus der türkischen Hauptstadt: 
Hier schwirren die Gerüchte derart durch 
einander, das) niemand mehr sich darin zurecht 
finden kann. Mir wissen nicht, ob die Vach 
richten von einer schweren Riederlage der Türken 
bei Gallipoli wahr sind, oder ob die amtliche 
Meldung stimmt, das) ein kleines Gefecht statt 
gefunden habe, worin die Bulgaren geschlagen 
worden seien, worauf sich die Türken auf Be 
fehl zurückgezogen hätten. Tatsache scheint nur 
zu sein, das) die osmanische Flotte einzelne 
Ortschaften an der Küste des Marmarameeres 
beschossen hat, die unter dem Erdbeben im 
vorigen Jahre sehr gelitten hatten und nur noch 
Trümmerhaufen waren. Die bulgarische Armee 
vor den Linien von Tschataldscha soll nach 
amtlicher Angabe sich zurückgezogen haben. 
Mas die türkische Heeresleitung vorhat, weis) 
niemand außer einem kleinen Kreis von Ein 
geweihten. In der Stadt herrscht reges mili 
tärisches Leben. Von allen Seiten rücken Regi 
menter an die Hafenstädte in Galata und Stam 
bul, um eingeschifft zu werden. Ein Reiter 
regiment, das ich sah, war tadellos beritten 
und bewaffnet. Auch die Freiwilligen-Bataillone 
waren gut gekleidet, meist stramme Männer, die 
wohl überwiegend aus der europäischen Türkei 
stammen und die Greuel des Krieges 
kennen, die ihnen Verwandte, Frauen, Schwe 
stern und Kinder geraubt haben, plötzlich stockt 
ihr Marsch. Ein Hodscha ist auf einen Magen 
geklettert und hält eine religiöse Ansprache. 
Jeder Satz wird von der andächtig zuhörenden 
Menge mit einem lauten „Amin" begleitet. 
Ein Gebet folgt und dann allgemeines Hände 
klatschen. Unstreitig sind die Massen tief er 
griffen und wollen einen letzten Versuch machen, 
die Ehre der Osmanen zu retten. 
Das Gedränge auf den Hafenstaden in 
Galata ist furchtbar, alles schreit durcheinander. 
Von Top Chanel) kommt ein Kavallerieregiment, 
das nach Stambul will, von der Brücke her 
nähert sich eine Batterie mit alten Feld 
geschützen. Dazwischen schrillt plötzlich eine 
Automobilsirene, wie man sie leider hier all 
gemein gebraucht. Es ist der Magen Enver 
Beys, und gleich darauf steigt der Oberstleut 
nant elastisch die Treppe des größten Trans 
portdampfers hinauf, von lauten Zurufen be 
grüßt. Ebenso geht es in Stambul zu. Die 
Geschäfte sind schon geschlossen, denn es ist 
Abend; nur selten hört man noch Rolläden 
mit dem nichtswürdigen Geräusch sich herunter 
senken, sonst klingt nur das Trappeln der Pferde 
auf den Gaffen. Am Personenbahnhof in Sir- 
kedschi werden eben Verwundete ausgeladen. 
Eine ganze Reihe von Droschken, die von der 
Polizei zu diesem Dienst immer erst eingefangen 
werden müssen, steht bereit, um die armen 
Teufel, die aus den Linien von Tschataldscha 
kamen, fortzubringen. Brot wird unter die 
Leute verteilt, die gierig darnach greifen. Der 
Aufenthalt da draußen muß harte Anforde 
rungen an die Mannschaften stellen, auch die 
alten Redifs, die als Geleit der langen Züge 
von Tragpferden in der Stadt auftauchen, 
zeigen, wie die Tiere, äußerlich den fürchter 
lichen Zustand der Mege. Das werden die Ab 
teilungen anatolischer Redifs bald kennen lernen, 
die eben eingetroffen sind und zum Kriegs- 
Ministerium marschieren, um dort Mafien und 
Uniformen zu erhalten. Die kleinen Kaffeehäuser 
an dem Kai und den dorthin führenden Straßen 
sind überfüllt und auch manche Offiziere sitzen 
dort und warten, daß endlich die Reihe an sie 
kommt, eingeladen zu werden. 
Etwas fällt mir hier in Stambul auf: 
man sieht an vielen Geschäften Bilder an 
geschlagen mit der Unterschrift: „Miedergaben 
aus illustrierten englischen Zeitungen". Es sind 
Darstellungen von Grausamkeiten, die von 
Ehristen an Mohammedanern in Mazedonien 
begangen worden sind. Davor drängt sich 
das Volk, viele der berüchtigten Lastträger, 
der Hamals, darunter, und man merkt die 
Wirkung der Bilder auf diese wilden Ge 
müter, die sich vorläufig nur in zornigen 
Drohungen gegen die Giaurs Luft macht. Die 
Regierung täte gut, zu verbieten, daß derartiger 
Zündstoff in die so wie so erregten Massen ge 
worfen wird. 
Kaum kann ich mich zum Anlegeplatz der 
Kais durchwinden, um nach Galata hinüber 
zufahren. Ruhig liegt die Flut, auf der neuen 
Brücke blitzen die Lichter auf und die über 
einander aufsteigenden Häuser von Galata und 
pera beginnen, sich in der wunderbaren allabend 
lichen Beleuchtung zu zeigen. Unwillkürlich rufe 
ich meinem Fährmann „Halt" zu und überlasse 
mich dem Zauber des Anblicks. Auch mein 
alter Kaikdschi, der doch tausendmal die Fahrt 
um diese Zeit gemacht hat, sitzt mit gefalteten 
Händen regungslos da. Da schrillt eine Dampf 
pfeife dicht neben uns und stört den Zauber der 
Abendstunde. Eines der Dampfboote saust vor 
bei, die unaufhörlich bei der Truppenverladung 
hin- und herfahren, und wir eilen, nach Galata 
zu kommen. Das „Akscham Hairolfun" des 
alten Türken beim Abschied klingt merkwürdig 
vertraulich, als ob es ihm gut getan hätte, daß
	        
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