Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Stimmung Ln Konstantinopel nach dem Wiederausbruch des Krieges. 
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Heute läßt er aber einen anderen, größeren 
für sich sprechen. Er liest des großen Dichters 
und Freiheitshelden Ramyk Kemals Gedicht 
„Mawejlah" vor, die „Klage". Die Verse 
Kemals schimmern in dem Purpurschein der 
alten türkischen Lyrik. Es schildert die Monne 
und Freude des Märtyrertums und strömt innige 
Klagen über einen toten schönen Jüngling, der 
auf dem Felde der Ehre dahinsinkt. „Geh', o 
Vaterland!" heißt es dann, „hülle dich in 
Schwär) vor der Kaaba! Strecke einen Arm aus 
nach dem Garten des Propheten und den 
anderen nach dem Märtyrergrab von Kerbel«! 
Offne deine Brust, o Vaterland, dem All- 
die Herren ergriffen waren. Ach wandte mich 
um und sah viele laugen feucht von patriotischer 
Erregung. Ruch als der Dichter Mehmed 
Ermir ein in neuer, volkstümlicher Sprache ge 
haltenes Gedicht „Die Klage des Vater 
landes" vortrug, jauchzte ihm die Äugend )u, 
obgleich der realistische Ton und die haste, 
trockene Art des Ausdruckes weniger an ihr 
ästhetisches Empfinden appellierte... 
Das Schlußwort sprach der Herausgeber 
der pantürkischen Zeitschrift „Der Türken Heimat", 
der tatarisch-türkische Schriftsteller Aktschura 
Oghlu Aussuf Bey. An ernsten Morten ent 
wickelte er die Theorie des Rationalkrieges, ein 
Gtreffleurs Militärische Zeitschrift, Wien. 
Griechische Feldartillerie bei Ianina. 
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mächtigen. Zieh' aus mit deinen Märtyrern und 
streue sie auf die Lande." Auf die Osmanen 
übt, wie auf alle Südländer, die Agitation 
schöner Dichterstellen die Wirkung eines ästheti 
schen Rausches aus. So wurde auch diese 
Versammlung, durch die Verse des Dichters, 
dessen Grab in Bulair bei Gallipoli nicht fern 
von der Stelle liegt, wo die ersten osmanischen 
Eroberer landeten, )u einem Begeisterungsaus 
bruch von höchster Leidenschaft getrieben. Es 
war ein Rausch, der vielleicht lange anhält, 
vielleicht aber sich verflüchtigt. Orientalische 
Raturen sind nun einmal leicht erregbar und 
unterliegen allen Beeinflussungen der Stunde. 
Und doch möchte ich glauben, daß hier nicht 
nur das Gehirn und die Sinne, sondern auch 
in der Türkei )um erstenmal gehörtes Mort. 
Der Glaube an die alleinseligmachende Re 
gierungshilfe hatte den Türken bisher in Fleisch 
und Blut gesteckt. Es wird nicht leicht halten, 
ihnen diesen Glauben anzutreiben. Mer die 
Entwicklung der sozialen Verhältnisse in der 
Türkei kennt, wird mit leichter Mühe die 
Schwierigkeiten )U schätzen wissen, die hier )u 
überwinden sind. Das türkische Her) klopft 
)war. Es ist schmeylich gerührt, von Leiden 
)errissen, es strebt nach Leidenschaft, nach Rache, 
nach nationaler Größe, nach einem Aufschwung 
aller nationalen Kräfte. Aber vom Klopfen des 
Her)ens bis )ur Anspannung der Muskeln, 
bis )ur Stählung des Millens ist noch ein 
weiter Schritt. Menn dieser Schritt getan wird,
	        
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