Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Stimmung in Konstantinopel nach dem Mederausbruch 
des Krieges. 
Wnt türkischen Heere war die Kampfstellung 
während des Waffenstillstandes bedeu- 
tend gewachsen. Der Großwesir und 
Generalissimus Mahmud Schefket pa- 
" scha hatte den Truppen vor Tschatal- 
dscha einen Besuch abgestattet und erklärte nach 
seiner Rückkehr: 
Dieser neue Krieg, den man in Europa ein 
stimmig als ein nutzloses Blutvergießen bezeichnet, 
ist nur durch die Schuld der Verbündeten ent 
brannt. Mir haben alles getan, um diesen zwei 
ten Krieg zu vermeiden, der grausamer als je 
ein Krieg zuvor sein wird und nur damit enden 
kann, daß einer der beiden Teile völlig ge 
brochen wird. Mir können Europa, das dieses 
Schauspiel gerne zu sehen scheint, nur das Bild 
eines letzten Verzweiflungskampfes bieten. 
Ich möchte eine charakteristische Episode er 
wähnen, die diesen Krieg, den manche europäi 
sche Stimmen eine Frivolität Bulgariens nennen, 
einleitete. Montag, am Tage des Wieder 
beginnes der Kämpfe, erschien vormittags ein 
serbischer Offizier der Adrianopler Belagerungs 
armee als Parlamentär vor den Befestigungs 
werken und teilte dem Kommandanten mit, daß 
der Waffenstillstand um 4 Tage verlängert 
worden sei. Da dieser serbische Offizier keine 
schriftliche Mitteilung überbrachte, fragte Schükri 
Pascha durch Funkenspruch in Konstantinopel 
an, ob diese Mitteilung aus Wahrheit beruhe. 
Die Antwort lautete sofort, Schükri Pascha 
möge auf seiner Hut sein. Abends donnerten 
denn auch die Kanonen der Belagerer gegen 
die Festung. Diese Episode hat bezeichnender 
weise den Beginn des Krieges gebildet. 
Unsere Truppen sind von einem neuen Geiste 
erfüllt und die Zuversicht ihrer jetzigen Führer 
erfüllt auch den letzten Mann. Ich dementiere 
kategorisch alle Angaben über Revolten und 
Unruhen in der Armee. Die Ereignisse auf dem 
Kampffelde werden dies noch unzweideutiger tun. 
Die Berichte Schükri Paschas lauten an 
haltend zuversichtlich. Alle Angaben über eine 
verzweifelte Lage der Stadt sind falsch. Schükri 
Pascha wird vor dem äußersten nicht zurück 
schrecken und Adrianopel dem Feinde niemals 
übergeben. 
Die Frage, ob die Meldungen über Ver 
handlungen mit Bulgarien, die damals bereits 
wieder aufzutauchen begannen, eine Grundlage 
hätten, verneinte der Großwesir und fügte hinzu, 
die Türkei sei ja zu offenen Verhandlungen auf 
der bekannten Basis bereit gewesen, was die 
Verbündeten abgelehnt hätten. Reue Aner 
bietungen habe die Pforte aber nicht zu machen. 
Soweit Mahmud Schefket Pascha, in den 
ein großer Teil des osmanischen Reiches alle 
Hoffnung und alles Vertrauen setzte. 
Die Stimmung in Konstantinopel selbst 
charakterisiert eine Korrespondenz der „Reuen 
Freien Presse" vom 6. Februar aus der türki 
schen Hauptstadt. Es heißt da unter anderem: 
Es war mitten in einer Versammlung von 
Tausenden Personen, daß ich es klopfen hörte, 
das türkische Herz. Europa wollte lange nicht 
daran glauben, daß die Türkei überhaupt ein 
Herz hat, das edler Gefühle fähig ist, das 
leidet und zuckt unter den furchtbaren Schmerzen, 
die ihm das Geschick auferlegt hat, und das 
dann seinen Aufschwung zu reineren, höheren 
Sphären nimmt. Und weil Europa das nicht 
wußte, hat es geschehen lassen, daß an ihm 
die schmerzliche Operation vorgenommen wurde, 
„in corpore vili” sozusagen • . . 
Es gab allerdings eine Zeit, wo man dem 
türkischen Herzen gerechter wurde, wo man 
seine unleugbare Größe anerkannte. Man 
braucht nur einmal Urquharts Schriften zu 
lesen. Dieser Engländer war imstande, den 
Gentleman im Osmanen zu erkennen und seine 
Ritterschaft zu verstehen. Selbst der Slawen 
freund Fallmerayer kam der Reformtürkei mit 
Sympathie entgegen. Seine anschauliche Be 
schreibung einer Heeresschau auf der großen 
Miese von Haidar Pascha ist von warmem 
Verständnis für die alte Militärmacht des osmani 
schen Reiches getragen. Run mag man sagen, 
was man will, mögen die in der Türkei be 
gangenen Fehler noch so groß sein, mag der 
alte türkische Stolz und Eigensinn noch so sehr 
gegen alle Vernunft und im Widerspruch mit 
unseren europäischen Begriffen von Staats 
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