Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Haltung Auslands. 
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die österreichisch-ungarische Negierung über die 
serbische Hafenfrage denkt. Diese Maßnahme, 
glaube ich, bildet einen untrüglichen Beweis dafür, 
daß die russische Negierung nicht nur mit allen 
Kräften für die Erhaltung des Friedens eintritt, 
sondern auch mit allen Kräften gegen die Agents 
provocateurs vorgeht. 
Glauben Exzellenz, daß die Bulgaren, wenn 
sie Tschataldscha einnehmen, auch in Konstan 
tinopel einziehen werden? 
Das würden sie unbedingt tun, doch werden 
sie Tschataldscha nicht einnehmen, denn der 
Friede wird früher zustande kommen. 
Und würden die verbündeten Balkanstaaten 
die Bedingungen der Pforte annehmen? 
Ich glaube kaum, daß die Pforte nachgeben 
wird und auch die Verbündeten. Der Friede ist 
ja nur ein gewöhnliches Geschäft. 
Die Meinung der Presse der Tripel 
entente. 
Es ist nicht uninteressant, zu beachten, wie 
die europäische Öffentlichkeit sich gegenüber diesen 
schwierigen und kritischen Fragen benahm. Die 
russische Presse ergsng sich in unverhüllten Drohun 
gen gegen Österreich-Ungarn. In erster Linie 
wurden natürlich die serbischen Forderungen auf 
einen Adriahafen unterstützt, und die Politik 
Österreich-Ungarns in bezug auf Albanien ver 
dächtigt. 
Am 22. November schrieb „Nietsch": Die 
Teilung Albaniens unter die Balkanstaaten wäre 
für diese nicht bloß nicht vorteilhaft, sondern ein 
fach schädlich, denn diese Teilung würde in sich 
den Keim künftiger Verwicklungen tragen. Wenn 
die Nlbanesen überhaupt schwer zu regieren sind, 
so werden es die Balkanstaaten auch nicht können. 
Von den internationalen Verwicklungen aber 
abgesehen, kann die Teilung Albaniens über 
haupt nicht unterstützt werden. Daher muß man 
wünschen, das Serbien sich nachgiebig erweise. 
Die „Nietsch" ist ein Kadettenblatt und stand 
mit dieser Ansicht im Gegensatz zu der von den 
Panslawisten beeinflußten übrigen russischen 
Presse. 
Die „Nowoje Wremja" schrieb: Albanien 
bietet einen Bestandteil des ottomanifchen Neiches 
und befindet sich im offenen Kriege mit den 
Balkanstaaten. Albanien hat daher selbst sein 
Schicksal gewählt. Zu diesem^ Schicksal gehört 
der Verlust eines Teiles des Territoriums, das 
Serbien vom Meere trennt. 
„Nißkoje Slovo" sagte: Die Ansicht, daß 
ein serbischer Hafen als Stützpunkt für die 
russische Mittelmeerflotte dienen könnte, ist irrig. 
Kein russischer Admiral werde sich in Durazzo 
oder Medua niederlassen, von wo aus der Aus 
gang durch die italienische Flotte abgeschnitten 
werden kann. Eine Gefahr für Österreich kann 
nur die Festsetzung Italiens in Albanien bilden. 
Die französischen Blätter sekundierten der 
Presse des verbündeten Zarenreiches wacker. Der 
„Figaro" befragte den bekannten russischen Po 
litiker Michael Stachowitsch über die Stimmung 
in Nußland, und erhielt von ihm folgende Aus 
kunft: 
Ich bin überzeugt, daß Österreich seine An 
sprüche auf die Unentschlossenheit gründet, die 
es bei uns voraussetzt. Cs täuscht sich. Die 
Kapitulation von 1908 läßt sich unmöglich 
wiederholen. Der Krieg, zu dem wir genötigt 
werden könnten, ist der einzige, der uns vom 
Standpunkte der inneren Politik möglich ist. 
Ich füge hinzu, daß dieser Krieg nicht nur 
möglich, sondern auch außerordentlich volkstümlich 
wäre, und daß die Negierung, selbst wenn sie 
wollte, vor der österreichischen Drohung nicht 
zurückweichen könnte. 
Herr Stachowitsch, der den Standpunkt 
Österreich-Ungarns nur ganz ungenau gekannt 
zu haben scheint, sagte weiter: 
Meiner Ansicht nach zeigt gerade die Über 
treibung der österreichischen Forderungen, daß 
diese Forderungen aufgegeben werden müssen. Die 
Diplomatie vermag nichts gegen die Wirklichkeit; 
die Wirklichkeit aber, das ist der glänzende, 
entscheidende Sieg der Slawen. Diesem Siege 
kann man nicht mehr zuwiderhandeln. Anders 
als durch die Macht des passiven Gehorsams 
ist in Europa keine Armee zu finden, die gegen 
die Balkanstaaten zu marschieren bereit wäre, 
angefangen mit der Armee Österreich-Ungarns, 
die 40 Prozent Slawen hat. Keine Macht kann 
versuchen, die moralische, politische und wirt 
schaftliche Autonomie der Balkanvölker anzutasten. 
Glauben Sie mir, der Krieg zwischen Österreich- 
Ungarn und den Balkanvölkern könnte Nußland 
nicht gleichgiltig lassen. Selbst wenn die Diplo 
matie es wollte, würde das russische Volk es 
nicht zulassen. Es hat seit Jahrhunderten zu viel 
für diese schöne Sache gekämpft und gelitten und 
wird nicht heute seine ruhmreiche Geschichte ver 
leugnen. Wenn die Duma zusammentritt, wird 
Europa ihre Stimme hören. 
Das war die russisch-panslawistische Auf 
fassung, welcher der „Figaro" hier Aufnahme 
gewährte. Uber die Meinung, die man von der 
damaligen politischen Lage in politischen Kreisen 
Frankreichs hatte, wurde berichtet: 
Die französische Negierung befolgt eine 
Friedenspolitik, und es wäre ihr sehr unwill 
kommen, wenn in Nußland eine gereizte und 
kriegerische Stimmung die Oberhand bekäme. 
Man findet, daß bisher kein Faktum vorliegt, 
das auf eine Verschlimmerung der Situation 
schließen ließe, auch wenn der panslawistischen 
Strömung einigermaßen Nechnung getragen
	        
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