Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Der Wiederausbruch des Krieges. 
23- 
ao 
Weit geht von hier der Blick in die Lande; 
es ist alles schön, was die Ratur gemacht hat; 
nur der Mensch hat sein Gerümpel hinein 
gesetzt und freche Spuren seines Erdenwallens. 
Aber dort ist Mischen Mauern und efeu 
umsponnenen Türmen versteckt ein Plätzchen, 
Gretchen und Martha könnten hier warten. 
Dann kommen wir an bewohnten Höhlen vor 
über, wo saubere Mütterchen mit Hausrat 
hantieren und die Felsdecke weist anstreichen. 
Alte Leute sprechen hier noch bulgarisch, die 
christliche fugend versteht nur griechisch. Es 
wimmelt heute von makedonischen Freiwilligen, 
jungen und alten Knaben mit grünem Kalpak- 
deckel. Sie benehmen sich ruhig und gesittet wie 
die anderen Soldaten; sie machen sogar dem 
weistbärtigen Derwisch Platz, dessen grüner 
Turban zwischen den Lammsellmützen auftaucht. 
Einen betrunkenen bulgarischen Soldaten haben 
wir während des ganzen Krieges nicht gesehen. 
In Saloniki taiyt in dem Cafe an der Ecke 
der Marina- und der Hamidijehstraste der 
Grieche, der Ev^one und der Matrose mit 
Talmistutzern; etwas läppisch klingt die Melo 
die, aber das Ballettröckchen der Egonen fliegt 
um das schmale blauweiste Band, das um die 
Hüpfenden geschlungen wird, einigt sehr ver 
gnügte Gesellen freudeberauscht auch ohne Al 
kohol. Es ist 8 Uhr abends und durch die 
lustigen Klänge und Jauchzer dröhnt schwer und 
ernst, wie einst „Eine feste Burg ist unser 
Gott" aus den Reitergeschwadern des IOjäh- 
rigen Krieges aufgeklungen ist, der Abendchoral 
der bulgarischen Soldaten, der in der nahen 
Kaserne von Hunderten in verworrenem Einklang 
gesungen wird. 
Donnerstag, 6. Februar. Von Dimotika 
nach Vörden ist die Bahn in der Richtung 
nach Adrianopel noch bis etwa über die kleine 
Station Urli im Betrieb, lediglich für militäri 
sche Zwecke. Man fährt nicht mehr wie während 
der Waffenruhe durch den Adrianopler Bahn 
hof. Von Dimotika führt eine gute Straste nach 
Ortaköj, dem Hauptort eines Kreises westlich 
von Dimotika. Heute liegt wieder Rebel auf 
den Feldern. Gewandt von dem Fahrer, einem 
Soldaten des Eisenbahnbataillons, geleitet, eilt 
das Auto auf der Straste westwärts. Arbeiter 
gruppen unter Aufsicht von Pionieren sind mit 
der Ausbesserung beschäftigt, geschlossene Ab 
teilungen von Landsturmleuten marschieren M 
Seite, ordentlich auf den Vordermann ausge 
richtete Wageiyüge mit Kriegsvorrat lassen die 
Hälfte der Straste frei. Wenn einmal die Sonne 
durchbricht und Mischen niederem Buschwerk die 
hohen Grabhügel vorzeitlicher Völker auftauchen, 
so sieht man kaum einen dieser Hügel ohne den 
bulgarischen Landsturmposten. Ruhig steht er 
mit Gewehr bei Fust und blickt nach Rorden, 
gegen Adrianopel, von wo das Gepolter der 
Geschütze wieder kräftig herüberrollt. Wir sind 
im Abschnitt der 8. Division, Mischen Maritza 
und Arda. Von Ortaköj an geht der Weg un 
mittelbar auf Adrianopel )U; zur Seite fliestt 
die mächtige, breite Arda talab; sie bringt die 
Gewässer der östlichen Hälfte des Rhodope, ein 
tückisches Ungeheuer, das in wenigen Stunden 
aus der Talebene einen See machen kann. 
Serben des benachbarten Abschnittes, Wagen- 
Mge in bekannter Ordnung, Haufen von Sol 
daten, die nach Heilung ihrer Wunden wieder 
einrücken, kleine Unternehmer des Krieges, die 
ihr Kapital in Estwaren umgesetzt auf einem 
Wägelchen M Front fahren, begleiten uns. 
Misstrauisch prüft die Streifwache von Feld 
gendarmen die Papiere der Marketender. Zer 
störte Dörfer )ur rechten Seite. Dorf Sejmenli. 
Der Ort Mgt viele Spuren des Krieges. 
Wenig ist heil geblieben und die Bevölkerung 
ist verschwunden. Hier endet die Autofahrt, noch 
>5 Kilometer von der türkischen Stellung ent 
fernt. Sejmenli ist wie ein Marktplatz im Sol 
datenlager. Der Kommandant der Verkehrs 
wege, ein junger Reserveleutnant, bringt den 
ganzen Wirrwar in kurzer Zeit in Ordnung. 
Zeder weist, wo er )u bleiben hat, wann an 
ihn die Reihe der Abfahrt kommt. Etwa 
)<X> Wagen stehen M Verfügung. Von der 
flachen Höhe nordöstlich des Dorfes sieht man 
deutlich die schlanken Minarette der Selim- 
moschee Adrianopels. Der Blick umfasst das 
Gelände, wo jetzt Kreiy und Halbmond mit 
einander ringen. Hört man einsichtige Bulgaren 
über Adrianopel sprechen, so ist die Genug 
tuung unverkennbar, dass man es hier mit 
einem tüchtigen Gegner M tun hat, den man 
dennoch beMingen wird. Der neue Krieg hat 
bis jetzt nicht viele Opfer gefordert; man sieht 
und hört nichts von Verwundeten. Den grossen 
Festungskanonen geht es wie den Hunden, die 
viel bellen; sie bristen nicht immer. 
Frühstück bei dem Etappenkommandanten, 
einem kernigen Reservemajor. Da ist noch eine 
Reihe gemeiner Soldaten )u Tisch; im Frieden 
sind sie Beamte der Rechnungskammer, der 
Gerichte; auch ein Schriftsteller ist dabei. Die 
Russen, die der Krieg hergeführt und die 
Waffenruhe wieder entführt hatte, konnten nicht 
genug über diesen demokratischen Zug staunen. 
Alles ist gesund, auch der sonst bleiche Mann, 
der Zahlen kommandiert, ist gerötet. 3n nied 
riger Klause eines Dorfhauses steht auf Stroh 
matten der Frühstückstisch. Auf einem Wand 
brett eine Sammlung von Schrapnells, die 
ihren Inhalt über das Gefechtsfeld ausge 
schüttet haben. Suppe, Fisch und Knoblauch 
brühe, Speck und Poghurt, die saure Milch 
des Landes, sind die Leckerbissen, dazu schwerer
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.